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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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hilflos zu, wie die Nadelspitze in das weiße Fleisch ihrer Armbeuge drang. Gleich darauf füllte sich die transparente Kammer am Ende der Punktionsnadel mit ihrem Blut.
    Er schob die Nadel noch ein Stück tiefer, fixierte sie und gab einen Laut von sich, der zufrieden klang.
    »Was ist das?«, keuchte sie. »Was geben Sie mir da?«
    Er antwortete nicht, sondern kehrte ihr den Rücken zu und rammte den Dorn des Infusionsbestecks in die Durchstichmembran der Flasche, ohne diese vorher zu desinfizieren. Dann sah er zu, wie sich der Spiegel in der Tropfenkammer aufbaute.
    Als es so weit war, öffnete er die Schlauchklemme, und der Flascheninhalt rann die durchsichtige Leitung hinab, direkt auf Sarahs Körper zu.
    »Nicht!«, kreischte sie. »Bitte! Ich gebe Ihnen alles, was ich habe! Nur tun Sie mir das nicht an!«
    Sein maskiertes Gesicht wandte sich ihr zu, und endlich erkannte sie auch, was die Maske darstellen sollte. Oder vielmehr: wen.
    Satan!
    Dieser Mann ist der Teufel!
    Ihr stockte der Atem. Ihr Herz stolperte wild vor sich hin, und für einen flüchtigen Augenblick dachte sie, es würde einfach stehen bleiben.
    Unterdessen hatte die transparente Flüssigkeit die Kanüle fast erreicht. Nur noch wenige Sekunden, dann würde ihr wehrloser Körper in sich aufnehmen, was immer ihr da injiziert wurde.
    Ihr Peiniger hatte sich abgewandt und hantierte an dem orangefarbenen Durchflussregler herum, während die Schallplatte, oder was immer er aufgelegt hatte, mit ungebrochener Penetranz ihren Schlager dudelte. Eine undefinierbare, seltsam geschlechtslose Stimme sang: »Bei mir bist du schön …«
    Sarah starrte den Schlauch an. Die Lösung erreichte die Nadel,überwand sie und sickerte mit gnadenloser Unabwendbarkeit in ihren Körper, ohne dass sie auch nur das Geringste dagegen unternehmen konnte.
    Der Maskierte verharrte einige Augenblicke regungslos an ihrer Seite. Dann ging er, ohne die Platte abzustellen.
    Sarah lag ganz still und wartete darauf, dass etwas mit ihr geschah. Dass sie müde wurde. Das Bewusstsein verlor. Halluzinierte. Doch nichts dergleichen passierte.
    Stunde um Stunde verstrich.
    Die Platte war lange zu Ende. Die Musik verstummt.
    Und Sarah blieb allein mit der nackten Neonröhre über ihrem Kopf und dem Schlag ihres Herzens, dem einzigen Geräusch, das die pochende Stille ringsum in hektische kleine Abschnitte teilte. Bum. Bum. Bum. Der Takt des Lebens. Ihres Lebens, das sie sich nicht so ohne Weiteres nehmen lassen wollte.
    Kämpfen und Handeln …
    Als der Druck auf ihrer Blase unerträglich wurde, gab Sarah nach. Sie spürte die Wärme ihres Urins an ihren Schenkeln und fühlte auch, wie er anschließend nach und nach erkaltete. Fast wie damals als kleines Mädchen, dachte sie verwundert, in der neuen Wohnung. Mit dem neuen Stiefvater.
    Doch diesmal kam niemand, um sie zu schelten. Niemand, um sie auszulachen.
    Sie blieb allein mit ihrer nassen Hose und der Käferlinse und der leeren Glasflasche über ihrem Kopf.
    Irgendwann, viel später, schlief sie ein, ohne dass ihr etwas zugestoßen wäre.

VIER

    Erzähle mir die Vergangenheit,
    und ich werde die Zukunft erkennen.
    Konfuzius

Donnerstag, 22. November
1
    Ems Entdeckung sorgte für Aufregung unter den Ermittlern der Sonderkommission. Vor allem, weil sie bedeutete, dass bereits in wenigen Tagen der nächste Mord geschehen würde, falls der Täter seinem Muster treu blieb.
    Die Beamten der Abteilung arbeiteten rund um die Uhr. Alle fuhren Sonderschichten. Trugen Informationen zusammen. Durchforsteten Datenbanken. Befragten mögliche Zeugen.
    Jenny Dickinson hatte zum Zeitpunkt ihrer Entführung Urlaub gehabt. Vier Tage vor ihrem gewaltsamen Tod hatte sie noch mit einer Freundin zu Mittag gegessen. Eine harmlosheitere Begegnung ohne jedes Anzeichen für drohendes Unheil. Eine Nachbarin hatte die Psychologin am frühen Nachmittag nach Hause kommen und kurz darauf wieder fortgehen sehen. Danach verlor sich ihre Spur. Ihre Handy- und Kreditkartenanbieter verzeichneten keine weiteren Aktivitäten. Keine Abhebungen, keine Transaktionen, keine Gespräche. Das Leben der gebürtigen Amerikanerin war ziemlich genau vierundneunzig Stunden vor ihrem Tod zum Stillstand gekommen, und keiner der Ermittler wagte, sich vorzustellen, was sie in dieser Zeit erlitten haben mochte.
    Lina Wöllner hatte ihre Kinder am Morgen ihres Verschwindens wie gewöhnlich zur Schule gefahren. Von diesem Zeitpunkt an schien sie wie vom Erdboden verschluckt. Ihr Auto, ein

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