Siebenschön
grauenvollen Arrangements, die der Mörder ihnen hinterlassen hatte. »Dr. Koss meint, dass die Morde einer Art geheimem Drehbuch folgen«, wandte sie sich wieder an ihre Kollegen. »Einer Vorlage, wenn man so will.«
Zhou sah skeptisch aus. »Das Problem ist, dass es diese Vorlage rein theoretisch auch nur in der Phantasie des Täters geben könnte.«
Decker warf Em einen auffordernden Blick zu. Offenbar erwartete er, dass sie nun auch in größerer Runde kundtat, was sie ihm gegenüber bereits geäußert hatte: dass ihr etwas an diesen Szenen bekannt vorkam.
Doch sie zögerte. Seit Zhou mit an Bord war, ertappte sie sich dabei, dass sie alles umging, was das Risiko eines Irrtums oder gar einer Blamage in sich barg. Und Mutmaßungen wie die, auf die Decker hinauswollte, gehörten zweifellos sogar in beide Kategorien. Trotzdem rang sie sich nach kurzem Überlegen dazu durch, Klartext zu reden. Zumindest dieses Mal.
»Ehrlich gesagt, erinnern mich diese Tatortszenarien auch an irgendetwas«, bekannte sie.
Zhou und Gehling blickten interessiert von ihren Tellern auf.
»Ich weiß beim besten Willen nicht, was es ist«, kam sie ihren Fragen zuvor. »Aber etwas an all dem kommt mir tatsächlich bekannt vor.«
Vom Supermarkt gegenüber drang unablässig das Piepsen der Kassenscanner. Ein Geräusch, das Em zunehmend aggressiv machte.
»Wie hat er Tidorf eigentlich in diesen Keller gekriegt?«, versuchte Decker, ihr mit einem Themenwechsel zu Hilfe zu kommen.»Immerhin war der Junge groß und kräftig. Und er konnte ja schlecht eine Schubkarre nehmen.«
»Eine Schubkarre nicht«, sagte Gehling. »Aber vielleicht einen Rollstuhl. Es gibt in diesem Haus einen Aufzug, wie wir wissen. Und eine Verbindungstür zur Tiefgarage.«
»Nein«, widersprach Zhou. »Das wären entschieden zu viele Unwägbarkeiten für einen derart organisierten Täter.«
»Dann ist Tidorf vermutlich freiwillig dort runter«, spann Em den Faden weiter. »Und somit muss der Täter jemand sein, dem er vertraut hat.«
Zhou nahm ihre Serviette und tupfte sich die Lippen ab. Zu Ems Erstaunen hatte sie reichlich gegessen. Viel und fett.
Ihre Augen blieben am Pulli der Asiatin hängen, in dessen V-Ausschnitt sich deutlich die Schlüsselbeine abzeichneten. Trotzdem sah ihre Partnerin bei aller Zierlichkeit nicht so aus, als würde sie den hochkalorischen Ballast gleich in irgendeiner Kloschüssel wieder loswerden. Dazu wirkte sie entschieden zu gesund. Em verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. Wahrscheinlich machte Fräulein Überflieger auch noch wie eine Besessene Sport!
»Apropos Symbolik und Schlachthof«, wandte sie sich wieder an ihre Kollegen. »Was ist mit den anderen Accessoires?«
Decker schob seinen leeren Teller von sich. »Was meinst du?«
»Wofür steht zum Beispiel der Farn?«
»Augenblick«, sagte Gehling, während seine Finger über das Touchscreen seines iPhones wischten. »Da ist es ja: Symbolik der Pflanzen.« Er wischte und tippte dann das Wort »Farn« in die Suchmaschine ein. »Okay, also der Farn ist traditionell ein Symbol für das Unheimliche«, erklärte er, nachdem er den entsprechenden Artikel überflogen hatte. »Ihr wisst schon, Einfluss des Teufels, böse Geister und solche Dinge. Aber … Wow! Hört mal hier: Dem Volksglauben nach können Farnsamen ihren Besitzer unsichtbar machen. Eine Eigenschaft, die sich in früheren Zeiten angeblich vor allem Hexen zunutze gemacht haben.«
»Hexen?« Em richtete sich auf. »Das würde zu der schwarzen Katze passen!«
»Und warum hat der Täter Jenny Dickinson zersägt?«, fragte Zhou.
Em überlegte. »Oh Mann, na klar«, rief sie dann. »Das ist es!«
Ihre Kollegen reagierten mit kollektivem Unverständnis. Selbst die sonst so ausdrucksarme Zhou hatte die Stirn in tiefe verständnislose Falten gelegt.
»Diese Truhe«, erklärte Em. »Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, warum er sie ausgerechnet dort hineingelegt hat. Aber in Kombination mit dem Zersägen …«
»Zirkus!« Deckers Zeigefinger hämmerte ein paarmal kurz und heftig auf die Tischplatte ein. »Der Magier zersägt die Frau in der Kiste. Und sobald er die Truhe wieder aufmacht …«
»… ist die Frau wieder heil«, führte Em den Satz zu Ende. »Somit hätten wir also eine Hexenpflanze, die hexentypische schwarze Katze und ein Zauberaccessoire. Und das bedeutet, dass das Thema dieses Mordes die Magie ist. Oder Hexerei.«
»Und bei Lina Wöllner?«, fragte Decker, der offenbar Gefallen an
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