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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Nervosität?«
    »Nein.«
    »Ganz sicher nicht?«
    »Wenn er nervös gewesen wäre, hätte ich es bemerkt«, hatte Doris Senn daraufhin noch einmal versichert. »Er war seit Wochen besorgt, wie gesagt. Aber am Tag seines Todes war er mit den Nerven am Ende. Das hatte eine völlig andere Dimension.«
    Wieso am Donnerstag?, überlegte Em. Woher hatte Dorn gewusst, dass er ausgerechnet an diesem Tag wieder eine Karte erhalten würde? Weil er im Gegensatz zu ihnen das Muster durchschaut hatte?
    DIENSTAG. SAMSTAG. DIENSTAG. DONNERSTAG … Wo war da das System? Was, um Himmels willen, hatten sie übersehen?
    Ems Finger fuhr über die Daten auf dem Display. Trudi wusste, dass ihre Nichte sie heute Abend anruft, weil sie jeden Samstag um diese Uhrzeit anruft, resümierte sie. Und Theo Dorn wusste, dass die nächste Karte des Unbekannten an dem besagten Donnerstag eintreffen würde, weil er … Ja, was?!
    Sie sah wieder auf ihr iPhone und begann zu zählen. Zwischen dem sechzehnten und dem siebenundzwanzigsten Oktober lagen genau zehn Tage. Von Alois Bernecks Ermordung bis Lina Wöllners Tod waren es neun. Und von da bis diesen Donnerstag? Ihre Fingerspitzen begannen zu zittern vor Aufregung. Verdammt! … Acht!
    ZEHN. NEUN. ACHT.
    Mein Gott, dachte Em, während sich eine eisige Kälte über ihren Körper breitete, die Tage sind tatsächlich nicht willkürlich gewählt. Es ist ein Countdown!
12
    Sarah Kindle hatte geschlafen. Ein angstvoller, unruhiger Schlaf, der ihr nicht die geringste Erholung gebracht hatte.
    Als sie erwachte, sah der Raum noch genauso aus wie zuvor. Und doch war etwas anders. Das spürte sie sofort. Instinktiv blickte sie nach oben, zur Webcam. Die Linse starrte ihr noch immer entgegen, hässlich und schwarz glänzend wie ein Käfer, der sich unter der niedrigen Decke festgekrallt hatte und nur darauf wartete, sich auf sie herunterfallen zu lassen. Auf ihr Gesicht.
    Sarah merkte, wie sich eine Gänsehaut über ihre Arme breitete. Sie war noch nicht lange hier, dessen war sie sicher. Und doch hatte sie bereits jetzt jegliches Zeitgefühl verloren.
    Sie musste aufs Klo. Aber noch war es nicht allzu schlimm. Das war immerhin ein Anhaltspunkt.
    Sie drehte den Kopf und wurde prompt unsanft daran erinnert, dass ein Halsband um ihre Kehle lag. Im gleichen Moment begann irgendwo ganz in ihrer Nähe ein Tonband zu spielen: Eine Stimme, die sie nicht kannte, sang einen alten Schlager.
    Die Aufnahme knisterte und rauschte. Aber sie signalisierte zugleich, dass jemand hier war.
    Das ist nicht gut, dachte Sarah. Gar nicht gut.
    Die alte Musiktruhe fiel ihr ein. Wo stand die noch gleich? Irgendwo da hinten in der Ecke, oder nicht? Vor der Wand, die so seltsam aussah. Wie Stahl.
    Ihr Blick glitt nach rechts.
    Ein totes Reh glotzte sie aus hohlen schwarzen Murmeläuglein an. Daneben stand die Stehlampe mit dem zerrupften Schirm. Und direkt dahinter … Sie erstarrte. Im Dunkel neben der alten Truhe stand jemand!
    Ein Schatten. Der Umriss eines Menschen …
    Sie sah eine Maske. Ein Gesicht ohne Regung mit zwei großen, leicht schräg stehenden Augenlöchern, hinter denen feucht zwei Pupillen zu erahnen waren. Das ist keine Puppe, dachte sie. Das ist eine Person. Die ihr Erwachen beobachtet hatte. Und die sie noch immer ansah.
    Die Gestalt löste sich aus dem Schatten und kam auf sie zu. Sie führte etwas mit sich, das auf dem nackten Boden ein leises schleifendes Geräusch machte. Im Näherkommen erkannte Sarah, dass es sich um einen von diesen Ständern für Infusionen handelte, wie man sie aus Krankenhäusern kannte. Am oberen Ende des galgenähnlichen Gebildes baumelte eine Glasflasche, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.
    »Nein«, flüsterte sie tonlos. »Nicht …«
    Doch die Gestalt reagierte nicht. Quietschend und schleifend kam sie näher und blieb direkt neben dem Bett stehen.
    Sarah wand sich wie wild und zerrte völlig sinnlos an ihren Gurten, während die Gestalt, von der sie noch immer nicht viel mehr als einen Umriss erkennen konnte, in aller Seelenruhe den Ärmel ihres Pullovers hochschob.
    Sarah hörte das Rascheln von Plastik.
    Im nächsten Augenblick hielt die Gestalt eine Punktionsnadel in der Hand.
    »Nein!«, schrie Sarah, und endlich gehorchte ihr auch ihre Stimme wieder. Mehr noch: Sie war schrill und durchdringend. »Tun Sie das nicht! Bitte!«
    Doch der Fremde machte einfach weiter. Wortlos. Ohne sichtbare Emotion. Und ohne jede Erklärung.
    Sarah spürte ein Ziehen und sah

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