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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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sechsundzwanzig Jahre alt, und ich habe sie alle getäuscht. Die Polizei. Meine Stieftöchter. Und sogar meinen Mann – trotz all seiner Erfahrung und seiner Abschlüsse und seiner ganzen ekelhaften Arroganz.«
    Es ist schon immer mein Vorteil gewesen, dass mich alle unterschätzen, dachte sie, und der Mann, der mir das antut, wird denselben Fehler machen. Er denkt, dass er mich gefügig gemacht hat. Aber das ist nicht wahr. Ich bin hellwach und entschlossen. Und ganz egal, wie es auch scheinen mag, er hat etwas vor mit mir. Etwas, das über diese Injektionen hinausgeht.
    Etwas, das noch nicht vollendet ist …
    Und solange es nicht vollendet ist, habe ich eine Chance. Die Chance, dass er mich losmacht. Dass ich eine Gelegenheit haben werde, ihm den Schädel einzuschlagen.
    Sie hatte sich genau umgesehen und herausgefunden, dass es inmitten dieses ganzen Plunders tatsächlich ein paar Gegenstände gab, die sich als Waffe verwenden ließen. Sie hatte die Zeit zwischen zwei Anfällen von Übelkeit damit verbracht, sich ganz genau einzuprägen, wo sich diese Gegenstände befanden. Und inzwischen würde sie sie sogar mit verbundenen Augen finden.
    Sie musste einfach nur warten.
    Darauf, dass er ihr die Hände losmachte.
    Er musste einfach nur zurückkommen und sie holen …
6
    »Wer ist das?«, fragte Zhou und hielt Decker eine Fotografie unter die Nase, die sie in der untersten Schublade ihres Schreibtischs gefunden hatte. Sie zeigte einen gut aussehenden jungen Mann in Zivil, der eine zierliche Brünette im Arm hielt.
    »Viktor Hansen«, antwortete Decker nach einem flüchtigen Blick auf das Foto. »Dein Vorgänger.«
    Das hatte sie bereits geahnt. Trotzdem schaute sie noch einmal genauer hin. »Sieht nett aus.«
    Decker bedachte sie mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte. »Ja, na klar, er is ’n prima Kerl.«
    Aber du kannst ihn nicht ausstehen, schloss Zhou überrascht. Zugleich fragte sie sich, warum er so dachte. Ihrer Einschätzung nach war Alex Decker kein Mensch, der irgendwelche leichtfertigen Urteile fällte. Erst recht keine negativen. Dazu war er viel zu klug. Natürlich, auf den ersten Blick wirkte er wie der typische oberflächliche Weiberheld – jung, kraftvoll und vielleicht auch ein bisschen zu laut. Doch wer genauer hinsah, bemerkte die Ernsthaftigkeit in seinem Blick.
    Er ist begabter für diesen Job, als er andere glauben machen will, dachte Zhou. Vielleicht weil er gelernt hat, dass man mit Understatement zuweilen am weitesten kommt. Vielleicht auch, weil er etwas zu verbergen hat. Und sei es nur ein gutes Herz …
    Seltsamerweise musste sie ausgerechnet jetzt wieder an ein Gespräch denken, das sie an einem der vergangenen Tage geführt hatte. Eins von diesen klassischen Flurgesprächen mit ein paar Kollegen, deren Neugier nicht von guten Manieren gebändigt wurde.
    »Hey, sag mal, stimmt es, dass dein Vater irgend so ’n großes Tier bei der Bank ist?«
    »Ja.«
    »Cool. Dann kannst du mir doch bestimmt mal ’n Tipp geben! In was soll ich meine paar Kröten investieren?«
    »Anlagegeschäfte sind das Terrain meines Vaters. Nicht meins.«
    »Bist du verheiratet?«
    »Nein.«
    »Liiert?«
    »Nein.«
    »Ehrlich nicht?«
    »Ist das ein Problem für Sie?«
    »Nee, im Gegenteil. Wie wär’s, wenn ich dir mal in Ruhe ’n bisschen was von der Stadt zeige?«
    »Vielen Dank. Aber das ist nicht nötig.«
    »Wieso?«
    »Ich bin hier aufgewachsen.«
    »Im Ernst?«
    An dieser Stelle war Decker dazwischengegangen. »Lasst sie in Ruhe«, hatte er seine Kollegen zurechtgestaucht. »Und zwar ein für alle Mal, klar?«
    Die anderen hatten protestiert. »He, man wird doch wohl mal fragen dürfen, oder?« Und natürlich: »Gib’s zu, das interessiert dich doch auch!«
    Doch Decker hatte sie nur mit sich fortgezogen und gesagt: »Mach dir nichts draus. Das ist hier völlig normal. Und wenn’s dir irgendwann doch mal zu viel wird oder du Hilfe brauchst …«
    Zhou hatte sich für das Angebot bedankt und überlegte jetzt, wie Capelli an ihrer Stelle darauf reagiert hätte. Vermutlich hätte sie Decker angefaucht, dass sie sehr gut auf sich selbst aufpassen könne, dachte sie mit einem Lächeln. Doch sie selbst hatte sich einfach nur bedankt und das auch genauso gemeint.
    Sie legte das Foto in die Schublade zurück und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu, den Bildern und Berichten, die in diesem Fall tatsächlich jeden Rahmen sprengten. Doch Fleißarbeit war etwas, das sie noch nie als unangenehm

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