Siebenschön
dem Bücherregal und ist wirklich wertvoll.«
»Ja, die ist mir aufgefallen«, nickte Zhou.
Mir nicht, dachte Em.
»Ich wollte damit nicht sagen, dass Frau Westen das mit Absicht getan hat«, beeilte sich Astrid Gerolf klarzustellen. »Aber die Uhr war total kaputt. Und der Chef ziemlich geknickt deswegen. Auch wenn er sie gleich in den Müll werfen wollte.«
Em dämmerten allmählich die Zusammenhänge. »Und da haben Sie die Uhr aus Mitleid zur Reparatur gebracht?«
»Na ja, ich habe mich natürlich erst mal umhören müssen, wer so etwas heute überhaupt noch macht«, nickte sie. »Aber dann wurde mir Clocks for Life empfohlen. Beziehungsweise Herr Dorn.« Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. »So ein netter Mann! Und so kompetent. Auch wenn er zuerst sehr skeptisch gewesen ist, ob er die Uhr überhaupt noch mal richten kann. Aber schließlich hat er sie doch wieder hingekriegt.«
Theo Dorn hat Sander Westens Uhr wieder hingekriegt, resümierte Em in Gedanken. Und damit vermutlich sein eigenes Todesurteil unterschrieben.
»Der Chef hat sich so gefreut, als sie eines Morgens wieder an ihrem Platz hing!«, sagte Astrid Gerolf mitten in die Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. »Er hätte es nie zugegeben, aber die Uhr bedeutet ihm wirklich sehr viel.«
4
Noch während der Rückfahrt rief Em in der Zentrale an und ließ sich mit Christina Höffgen verbinden. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Einerseits war sie froh, dass sie endlich einen Bezug zu Theo Dorn herstellen konnten. Aber sie war auch verärgert, dass sie es so lange versäumt hatte, einen Grundsatz zu beherzigen, der ihr bereits während ihrer Ausbildung eingebläut worden war: Fragen Sie niemals nur die eine Seite. Egal, was Sie tun,stellen Sie immer sicher, dass Sie auch alle anderen Blickwinkel berücksichtigt haben. Die Rückseite einer Sache. Die Sicht eines Dritten.
Na schön, dachte sie, während das Freizeichen von Christina Höffgens Handy in ihrem Ohr widerhallte, dann fragen wir jetzt also mal andersherum!
»Höffgen.« Christina Höffgen klang gefasst. Trotzdem spürte Em, dass sie Angst hatte. Wahrscheinlich würde sie nie wieder ein Telefonklingeln hören, ohne ins Zittern zu geraten.
»Hier ist Emilia Capelli von der Sonderkommission. Erinnern Sie sich an mich?«
»Ja. Natürlich.«
»Ich hätte da noch eine Frage …« Sie bemerkte, wie Christina Höffgen im Angesicht dieser Ankündigung augenblicklich in Verteidigungsstellung ging.
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
»Natürlich«, beschwichtigte Em. »Aber dieses Mal geht es nicht um die Lagerhalle oder den Anruf.«
»Sondern?« Misstrauen pur.
Vielleicht war ich neulich Abend doch ein bisschen hart zu ihr, überlegte Em. Sie schielte nach Zhou, die in ihrer Handtasche wühlte und dabei so unbeteiligt wie immer wirkte. Aber vielleicht war das ja auch nur ihre ureigene Vorstellung von Diskretion. »Ich wüsste gern, ob Sie einen Mann namens Sander Westen kennen«, wandte sie sich wieder an ihre Gesprächspartnerin am Telefon. »Er ist Psychologe.«
»Sander Westen?« In Christina Höffgens Stimme schwang Erleichterung. »Ja, klar. Das heißt …« Sie unterbrach sich. »Eigentlich kenne ich Herrn Westen gar nicht persönlich. Aber ich habe das Cover seines letzten Buches entworfen.«
Stimmt, erinnerte sich Em, sie ist Grafikerin!
»Wie lange ist das her?«, fragte sie.
»So anderthalb Jahre, schätze ich. Das Buch hieß ›Das Ende der Niedlichkeit‹ und behandelt Soziopathie im Kindes- und Jugendalter.«
»Aber Dr. Westen selbst sind Sie nie persönlich begegnet?«, vergewisserte Em sich vorsichtshalber noch einmal.
»Nein.«
»Ist das normal?«
Christina Höffgen lachte. »Klar. Die Agentur bekommt den Auftrag direkt vom Verlag, und meistens haben wir nicht viel mehr als einen Klappentext und ein Foto des Autors. Auf dieser Grundlage erstellen wir einen Entwurf und sehen, wie er bei den Verantwortlichen ankommt.«
»Und diese Verantwortlichen sind …?«
»In der Regel die Marketingleute des Verlages.«
Em verstand. »Taucht Ihr Name denn üblicherweise im Impressum der Bücher auf, deren Umschläge Sie gestaltet haben?«
Sie konnte spüren, wie Christina Höffgen zu deuten versuchte, worauf ihre Fragen abzielten. »Normalerweise erscheint im Impressum nur ein Hinweis auf die Agentur, die für die Covergestaltung verantwortlich ist, aber …«
»Was?«
Eine lange Pause. »Ich stehe dort in keinem gewöhnlichen
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