Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)
Tisch. An unseren schäbigen, schmutzigen Tisch, den Ehrengast bei all den Speisen, die immer im Überlebenskampf gegen das organisierte Erbrechen gestanden hatten, ein Tisch, der immer nackt geblieben war, mit seinem armseligen Holz voller Soßenflecken in allen nur erdenklichen Farben und verschiedensten Körperflüssigkeiten.
Unser löchriger Tisch.
Unser Tisch, der nukleare Schwaden von Déjà-vus aufsteigen lässt, von Livia Mega, die mit halb geschlossenen Augen in Unterwäsche in der Küche sitzt, die Polaroid statt einem Herzen vor der Brust.
Jetzt war unser Tisch als ganz normaler Tisch einer normalen Familie verkleidet: Auf ihm lag eine Tischdecke. Blau mit dicken Kirschen und einem Rand aus fetten Erdbeeren. Und darauf zwei richtige Porzellanteller, nicht aus Plastik, mit der Öffnung nach oben, wie es sich für tiefe Teller gehört, wie Engelchen an der Krippe mit erhobenen Flügeln.
Unser Tisch war für zwei gedeckt.
»Mama, warum hast du für mich nicht gedeckt?«
Und von ihr ein Blick, der zuerst besagt: Du hast so gut geschlafen, und dann: Schmeckt es dir, mein Lieber?
Sie aßen und lächelten. Ich blieb mitten auf der Treppe stehen. Ich atmete ein und atmete aus. Ich spürte, wie sie ihre Zähne in meinen Körper schlugen, wie sie ihn kauten und verschluckten. Ich drückte mir die Nägel in die Handflächen. Er antwortete mit vollem Mund: »Hmmm.« Und: »Reichst du mir mal den Pfeffer, Liebling?«
In der Mitte des Tisches würgte eine blaue Glasvase die fetten, feuchten Köpfe von Orchideen hervor. Sie stand genau an der Stelle, wo das Loch war, das nicht zu wissen schien, was es machen sollte, um nicht zu fallen. Sie gaben einen terroristischen Duft von sich, den man unmöglich ignorieren konnte, der die Schleimhäute umging und direkt ins Gehirn stieg. Ich ging die Treppe herunter. Öffnete die Ofentür.
»Und du hast mir ja überhaupt nichts übrig gelassen …«
Livia Mega wandte den Kopf zu mir und warf mir einen Blick zu, der lautete: Das nächste Mal, ich versprech’s dir!
Dann schenkte sie mir ein Lächeln, wie eine Weihnachtskarte an jemanden, den man nie besuchen geht.
Und er: »Weißt du was, meine Liebe, du bist eine außergewöhnliche Köchin!«
Ich ballte die Fäuste, die blutunterlaufen waren.
In diesem Moment bemerkte ich, dass neben dem Herd, noch nicht zusammengebaut, die Flöte meiner Mutter lag. Die drei Teile, in einer Reihe zwischen der Zuckertüte und der leeren Eierschachtel.
»Mama, aber was machst du denn mit der Flöte mitten unter den Lebensmitteln?«
»Deine Mutter hat mir vor Kurzem beigebracht, wie man ein paar Töne spielt!«
Ich nahm das längste Stück in die Hand, das mit den sechzehn Tasten. Ich schaute hinein, wie ich es als kleines Mädchen gemacht hatte, drehte es vor dem Auge wie ein Kaleidoskop und beobachtete den Strudel des Lichts darin, der neue, seltsame Gebilde schuf und über die Ansätze der Tasten hereinströmte. Und ich stellte mir mich selbst vor, wie ich in diese Röhre hineinlief, die mich zu meiner Mutter führte, und wenn ich am Ende ankam, ohne in die Löcher zu fallen, würde sie mich umarmen.
Ich wandte mich um, betrachtete ihren geraden Rücken und wie sie die Gabel zum Mund führte. Ihr außergewöhnliches Profil. Die glänzenden, sauberen Haare. Vor ihr Francis, der lächelnd aß.
Das lebhafte Geklapper des Bestecks.
Ich nahm das Mundstück der Flöte mit seiner ovalen Öffnung, die sich perfekt um ihre herrlichen Lippen schloss. Als ich hineinschaute, traf es mich wie ein Schlag: Ganz am Ende blickte mir mein eigenes Auge entgegen. Ich schraubte das Teil an das längste Stück.
Ich schaute wieder hinein.
Das Spiegelbild meines Auges war verschwunden, da war nur ein dunkles Loch.
Und Francis: »Camelia, kannst du auch spielen?«
»Nein.«
»Deine Mutter hat mir beigebracht, wie man den einfachsten Ton hervorbringt, das si. Kannst du wenigstens den spielen?«
Mir platzte der Kopf. Livia wandte sich um und schaute mich an. Sie legte die Gabel weg.
Ich schraubte auch den dritten Teil an. Hob die Flöte an meine Lippen. Drückte mit dem Zeigefinger und dem Daumen der linken Hand und dem kleinen Finger der rechten Hand auf die Tasten, die zum si gehörten. Ich blies hinein.
Nur das Geräusch von Luftballons, die in der Ferne platzen.
Francis lächelte mitleidig.
Meine Mutter ebenso.
Francis schaute sie an und sagte: »Möchtest du mich heiraten, Livia?«
Ich hielt den Atem an.
Sie saß da, die Gabel auf halber
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