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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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Mädchen, was ist denn los? Übersetz weiter.«
    »Was soll das heißen, was ist denn los? Los ist, dass ich mich jetzt hier vor allen umbringe, und dann sehen wir mal, ob ihr merkt, dass ich existiere, verdammt noch mal!«
    Der Fettsack zog die Augenbrauen zusammen. Aus dem Publikum kam eine ältliche Stimme, die fragte: »Entschuldigen Sie, aber ich habe eine Frage zur Fleck-weg-Technologie.«
    Ich zog das Teppichmesser aus der Tasche und hielt es mir vor die Brust. Eine runzlige Oma verschwendete ihren letzten Atem darauf, zu schreien. Andere schrien auch. »Was machst du denn da, Hilfe!!«, kreischten sie wie die Hühner, und einige liefen auf den Notausgang zu. Der Alarm ging los und schrillte wie verrückt, und offenbar regte das alle dazu an, noch mehr Lärm zu machen, denn sie plapperten in den verschiedensten Dialekten Großbritanniens durcheinander, drängten sich zum Notausgang, wo sie so lange mit ihrem Gekreische und Gegackere weitermachten, bis sich endlich eine Autoritätsperson gefunden hatte, die aufmachen konnte.
    Der Fettsack fluchte auf Toskanisch. Ein glatzköpfiger Mann in Bermudas betete das Vaterunser.
    Niemand, ich sage wirklich niemand, schaute mich noch an.
    »Wollt ihr Blut sehen? Soll ich? Wenn ihr mich nicht anschaut, dann schwöre ich euch, ich mache es, also schaut mich an, verdammt noch mal!«
    Niemand hörte mir zu. Ich wischte mir mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Dann sah ich das Blut, das sich auf der weißen Seide des Hosenanzugs ausbreitete. Die Leute, die noch da waren, schrien auf, der Mann in den Bermudas kreischte: »O mein Gott, sie hat es getan, sie hat sich dieses Ding ins Herz gerammt! Ruft einen Notarzt!« Eine Schwangere wurde ohnmächtig. Die Alte war vielleicht gleich abgekratzt.
    Die Hand auf mein triefendes Herz gedrückt, brüllte ich: »Hört mir zu, ich will bloß reden!«
    Doch die Leute liefen alle nur aus dem Saal und schrien, keiner hörte mir zu.
    Ich wusste sowieso nicht, in welcher Sprache ich geschrien hatte.
    Vielleicht Italienisch.
    Vielleicht Chinesisch.
    Vielleicht in der Sprache der Blicke.
    Vielleicht in der Sprache des Lächelns.
    Vielleicht in der Sprache von Jimmy, der mir das Gesicht wegfegt.
    Kaum waren alle draußen, hörte ich hinter mir die wütenden Schreie des Fettsacks, der mich auf Toskanisch anbrüllte: »Du bist gefeuert, lass dich hier bloß nicht mehr blicken!«, und ich stürzte hinaus. Ich nahm mein Handy und rief Livia Mega an.
    Das Handy war noch lebensmüder als ich und schaltete sich bereits beim ersten Klingeln aus. Ich öffnete meine Jacke und hob das T-Shirt hoch. Es blutete immer noch. Ich tupfte das Tattoo mit einem Taschentuch ab.
    Ich nahm den Flyer von der Fotoausstellung aus meiner Tasche und lief dorthin. Es war ein schreckliches Viertel, die Ausstellung fand in einem Studentenwohnheim statt.
    Hinter den vergitterten Fenstern konnte man schmächtige zukünftige Streber-Geschäftsleute im Profil sehen, die vor dem Hintergrund von Rockgruppen-Postern über ihre Laptops gebeugt saßen. Dann die Küche. Der Gemeinschaftsraum. Alles voller Leute. Tausende von offenen Fenstern, die mich mit ihrem Gelächter belästigten.
    Ich trat ein.
    Das Erste, was ich sah, noch vor meiner Mutter und Francis, die eng umschlungen dastanden und mit Hilfe der Zungen einen Austausch ihrer Seelen vornahmen, war das Reich aus blauem Licht, das von ihrem Kleid ausging und sich in das Nachtblau seines Anzugs stürzte.
    Eine Geschichte mit gutem Ausgang, die lautete: Lichtblau Himmelblau Türkis Kobalt Nachtblau Ozeanblau Dunkelblau.
    Und dann Pfauenblau Stahlblau Kornblumenblau.
    Und ich fügte noch hinzu: Cianblau Puderblau Persischblau.
    Ich könnte endlos weitermachen. Da waren alle Blaus, die jemals existiert hatten, und auch die, die es nie gegeben hatte. Sagt mir eins, das es ganz sicher gibt. Mir drehte sich alles im Kopf. Je mehr ich schaute, desto mehr fand ich.
    Eine geschützte Gegend am Meer, die in Pailletten begann und in Nadelstreifen aufhörte.
    Die eine Spezies, die man Schönheit nennt, vor Leuten wie mir schützt.
    Und die sie beschämt, die Leute wie mich.
    Und genau aus diesem Grund hingen die beiden wie Kletten aneinander und küssten sich – um mich mit Blau zu beschämen. Um mir mit der Zunge, aber ohne Stimme zu sagen, dass ich nicht dazugehörte, dass ich überhaupt nicht dazugehörte, und dass es rein gar nicht von Bedeutung war, dass ich mich für meine Mutter geopfert hatte, und wie sehr ich sie liebte. All

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