Sieg des Herzens
es aber auch schon klar, daß eine Flucht nicht in Frage kam. Der Jüngling hätte es einfach nicht fertiggebracht. Er wartete also weiter.
Langsam, unendlich langsam verging die Zeit.
Doch da … ein Schatten, ein Schweben, ein ganz leiser Schritt im samtenen Gras.
Ein Hauch: »Du …«
Sie kam, sie war es. Fest preßte er die Lippen aufeinander, um nicht laut, nein, triebhaft aufzuschreien. Leise bog er die Zweige auseinander und flüsterte zurück: »Hier, Geliebte …«
Er breitete die Arme aus, um sie zu umfangen, aber sie warf sich ihm, die Lage überblickend, nicht an die Brust, sondern nahm ihn an der Rechten, zart und doch fest, und flüsterte: »Komm, hier ist's zu gefährlich. Folge mir … Vorsicht, die Äste … tritt mit den Zehen auf, gib acht, jetzt kommt ein Kiesweg … jedes Geräusch kann uns hier verraten …«
Folgsam hielt er sich an ihre Anweisungen. Verhältnismäßig rasch kamen sie dadurch vorwärts, glitten tiefer hinein in den stillen, dunklen Park. Er hielt den Mund, nur einmal fragte er sie: »Gibt's hier keinen Hund?«
»Doch, aber der schläft.«
»Er schläft?«
»Ganz tief.« Ein leises Kichern wurde laut. »Ich habe ihn schlafen gelegt.«
Ein Grund mehr für ihn, über ihre Kaltblütigkeit zu staunen.
Schließlich erreichten sie eine ganz besonders behütete Ecke des großen Parks, einen kleinen Platz mit hohem, weichem Gras. Umgeben war er von dichtem Gebüsch und kleinen Tannen, deren Zweige bis zur Erde reichten.
Still war es zwischen den beiden, denn wo Herzen sprechen, sind Worte überflüssig. Nur in die Augen sahen sie sich, in diese Spiegel ihrer Seelen, tranken sich von ihnen gegenseitig den Glanz, das tiefe Schimmern und Leuchten herunter, das Gott den Menschen gibt, wenn sie lieben.
Sie sahen sich in die Augen, und da war es, als führe eine allgewaltige Macht sie zueinander. Sie spürten nicht die eigenen Schritte, doch der Raum verengte sich. War es ein Schweben, Gleiten oder gar ein Stürzen? Nein, es war mehr, mehr …
»Duuu …«, brach es aus beiden Herzen.
»Duuu …«
Ein doppeltes Schluchzen, und in die Arme taumelten sie sich gegenseitig, zitternd, verlangend, leidenschaftlich.
Geheimnisvoll durchglüht fanden die Lippen sich … endlos, die Welt vergessend, alles fordernd, alles gebend.
Sie sanken in das Gras.
»Duuu …«, stammelten ihre Lippen.
»Duuu …«, keuchte ihr Atem.
Und hinter einer Wolkenbank versteckte sich der Mond.
Langsam begann es kühl zu werden. Die Boten des Morgens zeigten sich. Ein frischer Wind durchrauschte das Gezweig, und in der Ferne wurde aus dem Schwarz der Wolken ein dunkles Grau.
Das Mädchen saß im Gras und ordnete die aufgegangenen Flechten. Er lag an ihrer Seite, wohlig im Gras ausgestreckt, sich seiner Müdigkeit überlassend.
»Ich halte das nicht mehr aus hier«, sagte sie zu ihm. »Den ganzen Tag bewacht mich das Gesinde, und die Tante selbst schläft zusammen mit mir im gleichen Zimmer.«
»Und trotzdem bist du gekommen, Liebste«, sagte er und streichelte ihre zarte Hand und küßte deren Innenfläche.
»Es war schwierig«, antwortete sie. »Deshalb auch meine Verspätung. Ich mußte warten, bis das Pulver wirkte, das ich ihr in den Wein gegeben hatte. Abends trinkt sie nämlich immer ein Glas Wein. Sie meint, sie bliebe davon schlank, die Säure zehre. Endlich schlief sie, und ich konnte mich davonschleichen.«
Die Antwort war ein Gestammel. »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.«
»Was soll nun werden?« fragte sie ihn bang.
»Du mußt heraus aus diesem Gefängnis, mußt mit mir hinaus in die Welt.«
»Aber wie? Der Vater verweigert einer Ehe mit dir sein Einverständnis.«
»Warum ihn fragen? Selbst zu handeln bringt den Sieg. Das Leben steht uns offen, wir sind jung, wir wollen es erobern. O Geliebte, unser Schicksal lenken wir allein, wir und die Liebe, die uns nie verlassen wird – nie, nie, hörst du, nie!«
»Nie!« rief sie auch leise und küßte ihn.
Es war ein beiderseitiger Schwur. Ein Schwur für die Ewigkeit.
»Was kann uns aufhalten, Liebste?« sagte er nach einer Weile. »Wir zwingen unser Glück, wir glauben an das Gute, und der Glaube versetzt Berge.«
»Des Vaters Segen würde uns dennoch guttun«, gab sie noch einmal zu bedenken.
»Ach was! Liebte und segnete mich mein Vater? Nein, im Fluche und gegen mich rasend, starb er. Was kümmert's mich jedoch, ich zimmere mir mein Leben selbst, denn meinen Geist kann mir niemand stehlen, und eine große Macht
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