Sieg des Herzens
folgt mir, die jeden überzeugt und ihn gewinnt: die Macht der Kunst.«
»Liebster, ich …«
»Was?«
»Ich habe Angst.«
»Angst?«
»Ja.«
»Eben sagtest du noch, daß du mich liebst.«
»Unaussprechlich und ewig, aber …«
»Dann mußt du auch Vertrauen zu mir haben.«
»Habe ich ja, aber …«
»Kein ›Aber‹ Liebste! Du hörst auf mich, wir fliehen zusammen, und zwar möglichst bald, schon morgen um Mitternacht. Ich erwarte dich hier.«
Sie ergab sich.
»Ich komme«, hauchte sie.
Und er jubilierte: »Das Leben wird es dir einst danken, Liebste!«
Er küßte sie, immer und immer wieder. Rasch war abzusehen, womit das wieder enden würde. Sie wehrte ihn deshalb von sich ab und sagte: »Der Morgen kommt, Liebster. Ich muß ins Haus, und auch für dich wird's allerhöchste Zeit, daß du von hier verschwindest. Niemand darf dich sehen.«
»Noch einen Kuß, Liebste, bitte …«
Sie ließ sich erweichen, aber als er gleich wieder stürmisch werden wollte, sagte sie energisch: »Schluß jetzt! Du mußt gehen! Wenn man uns entdeckt, ist alles, alles uns verloren. Willst du das?«
»Um Himmels willen, nein!«
»Dann sei vernünftig.«
Sie erhoben sich aus dem Gras. Sie hatten nicht gemerkt, wie kühl dieses längst geworden war.
»Soll ich dich noch bis zum Haus bringen?« fragte er sie.
»Nein, der Weg ist mir bekannt.«
»Was ist mit dem Hund?«
»Törichte Frage! Er kennt mich. Außerdem schläft er wohl noch. Ich habe ihm – deinetwegen – auch reichlich von dem Pulver in seine Schüssel gegeben, das der Tante Schlaf vertiefte.«
Er lachte verhalten.
»Du bist eine …«
Er brach ab.
»Was bin ich?« fragte sie.
»Eine Satansbraut«, lachte er. »Man muß sich vor dir in acht nehmen.«
»Nachdem ich deine Braut bin«, schlug sie ihn in diesem kleinen Rededuell, »mußt du der Satan sein. Was hältst du davon?«
»Nichts, ich …«
»Geh jetzt, sonst verdirbst du wirklich alles, Liebster!«
»Noch einen allerletzten Kuß«, bettelte er wie ein unvernünftiges Kind, und wie eine unvernünftige Mutter konnte sie ihm seinen Wunsch wieder nicht abschlagen.
Dann aber riß sie sich los von ihm und verschwand zwischen den Büschen, huschte durch den Park dem Haus zu. Am Horizont hatte sich der Himmel gerötet, golden blitzte es auf zwischen den Wolken, die Sonne kam hoch, brachte Licht, die Erde erwachte, das Konzert der Vögel setzte ein.
Lang, unendlich lang wurde dieser Tag. Die Sonne schien und schien, noch immer wollte sie nicht untergehen. Endlich, endlich kam die Dämmerung, aber dann war es mit ihr das gleiche. Sie wollte und wollte sich nicht beeilen. Sie trödelte sozusagen ewig herum, und die Nacht ließ und ließ auf sich warten.
Unruhig lief der Dichter in der Gaststube der Herberge, die ihm zur Zuflucht geworden war, auf und ab, unfähig, einen klaren Kopf zu behalten. Seine Gedanken jagten sich. Nach der Euphorie in der Liebesnacht plagten ihn jetzt selbst auch Zweifel. Er mußte sich Mut zusprechen.
Nun also begann das Leben, das Leben mit seinen Höhen, aber auch mit seinen Tiefen. Von heute an war er ganz allein der Träger seines Schicksals, nein, zweier Schicksale, denn auf ihm lastete auch die Verantwortung für eine andere Seele, die sich ihm, zerbrechlich und zart, anvertraut hatte.
Er hörte auf, hin und her zu rennen, setzte sich an einen Tisch. Der Wirt brachte ihm das Abendbrot, das jedoch keine Würdigung fand. Der nervöse Dichter rührte es nicht an. Mit dem Kopf in seinen Händen vergraben, saß er da und blickte abwesend vor sich hin.
Seine Geliebte kam aus einem reichen Haus, war an seidene Kleider und funkelnde Geschmeide gewöhnt, Luxus aller Art war ihr zur Selbstverständlichkeit geworden. Konnte er ihr Ähnliches bieten? Allein der Gedanke war Hohn. Wer war er denn? Ein Dichter ohne Stellung, ohne jede Basis einer beruflichen Existenz, nur getragen von dem Glauben, einmal erkannt und beachtet, anerkannt und gedruckt zu werden. Und wenn es soweit kam, konnte er dann daran denken, kostbaren Schmuck zu kaufen? Würden sie nicht immer froh sein müssen, wenigstens nicht zu hungern?
Wie groß war die Gefahr, daß sie den Luxus nicht missen konnte? Gewohnheit ist eine starke Macht. Würde ihre Liebe stark genug sein, um diese Macht zu besiegen? Oder würde sie zerbrechen an der Bescheidenheit des Lebens, das er ihr nur bieten konnte?
Würde sie ihren Schritt in die Freiheit an seiner Seite bereuen? Würde er ihr wahres Glück bieten
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