Sieg des Herzens
können?
Glück? Liegt Glück im Luxus? Im Fortbestehen gewohnter Verhältnisse?
Liegt Glück nicht im Herzen? Und gehörte das Herz nicht ihm? Doch wiederum – war es nicht zu schwer für sie, von großer Höhe in die Tiefe zu stürzen? Durfte er denn überhaupt die Hand nach ihr ausstrecken? War es zulässig, einen anderen Menschen eventuell ins Unglück mit hineinzuziehen?
Unglück? Konnte es nicht auch das Glück werden, wenn seine Bücher …
Wenn?
Wenn!
Zukunftsträume …
Wenn, wenn, wenn …
Ich halte das nicht aus, dachte der Dichter und hämmerte sich mit den Fäusten gegen die Schläfen. Ich halte das nicht aus … Herrgott, so hilf mir doch!
Der Wirt spülte Gläser und beobachtete das Benehmen seines seltsamen Gastes. Dem scheint ein Rädchen zu fehlen, oder er hat eines zuviel, sagte er sich im stillen. Ein Verrückter. Ja, ja, die Welt, sie trägt Geschöpfe aller Art. Na, das Schicksal wird schon wissen, was es vorhat mit ihm.
Wahrlich, ein Philosoph, dieser Wirt …
Plötzlich sprang der Gast auf, warf Geld auf seinen Tisch, packte sein Bündel am Lederriemen und stürmte ohne Gruß aus der Stube. Wieselflink eilte der Wirt an den Tisch, um festzustellen, ob der Betrag, den dieser Narr hinterlassen hatte, auch ausreichte.
Doch siehe da, der doppelte lag auf dem Tisch, nicht abgezählt, einfach hingestreut.
Und mit einem Schlag hatte der Wirt seine Meinung geändert.
»Ein nobler Herr«, murmelte er hochachtungsvoll. »Habe ihm das gar nicht angesehen, bin ein Ochse. Er muß im Geld schwimmen. Ja, ja, die Welt, der eine hat's, der andere hat's nicht. Das Schicksal wird schon wissen, wem es das Jeweilige zuteilt – und warum.«
Ab jetzt verlief sich jede Spur der beiden. In der Stadt jedoch begann ein Prozeß, der die Bevölkerung in Atem hielt.
Aus einem vornehmen, sicheren Gebäude war des Nachts ein Mädchen mit Gewalt geraubt worden. An der Gewalt bestand kein Zweifel. Die Sittsamkeit des Mädchens schließe jede andere Möglichkeit aus, schwor die alte Tante.
Der Vater tobte, schrie, er wolle vor den Kaiser treten und alle verklagen, den Bürgermeister, die Gendarmen, Himmel, Hölle, alle und alles wolle er verklagen, wenn nicht der Schuldige gefunden werde. Die Verantwortlichen wanden sich: man tue, was man könne, doch sei der Täter vorläufig entwischt, entflohen mit dem Mädchen.
Der Alte brüllte, wozu Gesetze bestünden, wenn sie die Bürger nicht schützen könnten, wozu man die ganzen öffentlichen Abgaben zahle – Kreuzdonnerwetter, allein habe doch der Schurke diese Tat nicht verüben können, ein Helfer sei vonnöten gewesen, der das Tor aufgeschlossen habe. Wer besitze denn den Schlüssel?
»Der alte Gärtner«, sagte zitternd die Tante.
Man schleppte nun den Greis vor die Schranken des Gerichts, und er leugnete die Wahrheit nicht.
Ja, er habe das Tor nicht verschlossen.
Warum nicht?
Weil ihn das junge Mädchen darum gebeten habe.
Ob er wahnsinnig sei?
Nein.
Warum er das getan habe?
»Ich sagte schon«, antwortete er noch einmal schlicht, »weil sie mich darum gebeten hat.«
»Das kann nicht sein, denn sie wurde mit Gewalt entführt.«
»Nein.«
»Doch, wir wissen es!«
»Von wem soll sie entführt worden sein?«
»Das wollen wir doch von dir erfahren. Wer war bei ihr?«
»Ein junger Dichter.«
»Aha, das genügt uns, der hat schon seinen eigenen Vater auf dem Gewissen. Wohin ist er?«
»Das weiß ich nicht.«
Man brüllte den Greis an, bedrohte ihn, doch er war wirklich überfragt. Man glaubte ihm nicht, und so wurde er, da der Zorn der Herren, denen er ausgeliefert war, ein Opfer forderte, zur Folter verurteilt. Unter unsäglichen Qualen starb er. Zwei Tage lang dauerte die Marter, und bis zuletzt konnte der alte Mann nicht sagen, wohin die beiden entschwunden waren.
Eine gewisse Anerkennung blieb ihm im Tode nicht versagt.
»Ein harter Brocken«, sagten die Folterknechte, als er kein Lebenszeichen mehr von sich gab.
Eine unangenehme Überraschung harrte ihrer. Der Rat der Stadt löste sie wegen Unfähigkeit ab, da dies nun schon der zweite Fall war, wo ihnen ein Delinquent so rasch verstorben war, ohne daß es ihnen gelungen wäre, ihm die Wahrheit zu entlocken.
In einer armseligen Bodenkammer lag wimmernd ein Kind auf einem Strohbett. Der fahle Schein, der durch das schmale Fenster an der schrägen Decke drang, fiel auf ein Gesicht, das verzerrt im Schmerz war, gerötet vom Fieber. Am Kopfende des Bettes kniete schluchzend eine Frau, ein
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