Sieg des Herzens
hatte sie ihm da entgegengeschleudert. »Jerome ist nun weg, und ich bleibe keine Minute länger in diesem Raum, es sei denn, Sie erschießen mich...«
Daraufhin hatte er ihr anstandslos die Tür aufgesperrt und gesagt, sie könne gehen.
Im Alten Kapitol wurde der irische Damenchor natürlich nicht wieder vorgelassen, aber Sydney, die man mit der Flucht nicht in Verbindung brachte, durfte die Gefangenen nach wie vor besuchen und ihnen Essen, Kleidung und andere Kleinigkeiten bringen. Ihre Brüder waren zwar bei den Rebellen, aber ihr Cousin Ian war ein Offizier und Held der Nordstaatenkavallerie - ähnlich wie Jesse Halston. Deshalb genoß sie gewisse Privilegien, und man vertraute ihr.
Da man Jesse wieder in den Krieg geschickt hatte, stand ihren Aktivitäten nun nichts mehr im Wege. Seit Jeromes Flucht war es ihr schon zweimal gelungen, Informationen von den Gefangenen nach draußen zu schmuggeln. Sie wußte, daß es ein Spiel mit dem Feuer war - auch andere Mitglieder ihrer Familie hatten sich schon daran verbrannt.
Aber sie war sehr vorsichtig, besonders charmant und spielte ihre Rolle hervorragend. Außerdem beging sie niemals den Fehler, etwas schriftlich zu machen. Sie überbrachte ihre Nachrichten entweder höchstpersönlich oder mit Hilfe von Maria Kelly, einem jungen Mädchen aus Irland, das sie bei der Vorbereitung zu Jeromes Flucht kennengelernt hatte.
Maria, die mit ihrem Bruder nach Amerika gekommen war, hatte ihn bei der Schlacht um Sharpsburg verloren, und auch der junge Mann, den sie kurz vor Ausbruch des Krieges geheiratet hatte, war während des Virginiafeldzuges von McClellan bei der Schlacht um Richmond gefallen. So ganz auf sich allein gestellt und weit weg von zu Hause, wollte Maria nur eins: Rache! Sie war eine Bekannte von Rose Greenhow, der verführerischen Washingtoner Witwe, die die gesellschaftlichen Kreise der Hauptstadt in ihren Bann geschlagen hatte und Südstaatengeneräle über Militäraktionen des Bundes informierte. Aber Rose war aufgeflogen, und man hatte sie ebenfalls ins Alte Kapitol gesteckt und schließlich in den Süden verfrachtet - wo sie nach wie vor für die Konföderation arbeitete.
Vielen Frauen gelang es, der Konföderation auf die eine oder andere Weise behilflich zu sein. Auch Alaina, die Frau von Sydneys Vetter Ian - einem der überzeugtesten Yankees überhaupt! -, hatte für die Konföderierten spioniert und dabei mit Rose zusammengearbeitet. Schließlich war sie dabei erwischt worden, allerdings von Ian selbst, und hatte ihm bei ihrer Ehre schwören müssen, nicht mehr zu spionieren.
Sydneys ältere Halbschwester Jennifer hatte sich, nachdem ihr Mann gefallen war, ebenfalls als Agentin betätigt. Aber der Schmerz über den Verlust ihres Mannes und ihre Verbitterung hatten sie jede Vorsicht vergessen lassen. Bald wurde sie gefaßt und an einem Baum aufgeknüpft. Glücklicherweise hatte Ian sie noch rechtzeitig gefunden, bevor das Seil sie erdrosselte. Nach diesem Erlebnis hatte Jennifer ihre viel zu gefährlichen Aktivitäten gänzlich eingestellt und kümmerte sich jetzt nur noch um ihren kleinen Sohn Anthony.
Sydney selbst hatte noch nie das Gefühl gehabt, in Gefahr zu sein. Sie war nicht in Trauer und verbittert wie Jennifer, sondern wollte nur für ihre Überzeugungen eintreten. Deshalb war sie immer vorsichtig und achtete darauf, daß man ihr nichts nachweisen konnte. Da sie sowohl in Richmond als auch in Washington gelebt hatte, wußte sie nicht nur, wofür die Herzen der Bewohner beider Staaten schlugen, sondern nannte auch eine ganze Menge Geheimnisse von beiden Seiten.
Sie war der Sache der Konföderierten zwar treu ergeben, kannte aber sowohl die Schwächen als auch die Stärken des Südens. Ihr war klar, daß die Konföderierten nicht in der Lage waren, den Krieg zu gewinnen, so famos ihre Generäle und Kavalleristen auch sein mochten. Auch die Tatsache, daß die jungen Männer aus den Südstaaten mit aller Inbrunst ihr Heimatland und ihren Lebensstil verteidigten, änderte auf lange Sicht nichts an der zahlenmäßigen Überlegenheit und technologischen Übermacht des Nordens. Dort standen die Fabriken; und nur die Nordstaaten hatten die Möglichkeit, ihre Verluste immer wieder auszugleichen. Gefallene Unionssoldaten wurden einfach durch Zuwanderer aus Europa ersetzt - manche von ihnen starben, bevor sie noch ein Wort Englisch gelernt hatten.
Die einzige Chance des Südens bestand darin, daß sich die Stimmung im Volk änderte. Irgendwann
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