Sieg des Herzens
Rhiannon nun ganz streng an und entgegnete forsch: »Wagen Sie bloß nicht, irgend jemandem davon zu erzählen!«
»Wie soll ich denn das verstehen?«
»Bitte! Das ist doch nicht so schwer! Ich hoffe, daß meine Familie nicht herausbekommt, in welcher Lage ich mich befinde, bevor ... Nun, bevor ich hier nicht wieder draußen bin. Sonst wird womöglich noch jemand bei dem Versuch getötet, mich zu befreien.«
Eine ganze Weile sah Rhiannon sie an, ohne etwas darauf zu erwidern. Aber dann gab sie ihr doch ihr Wort: »In Ordnung, ich werde niemandem davon erzählen. Wie auch? Aber, Sydney, mal ehrlich, über kurz oder lang wird nach außen dringen, daß man Sie hier festhält. Früher oder später wird auch Ihre Familie erfahren, was passiert ist.«
»Mag sein. Aber was das angeht, ist es mir später lieber. Bis dahin bin ich vielleicht schon entlassen, oder man hat mich zurück nach Virginia geschickt. Irgend etwas wird sich schon ergeben ... Vielleicht geschieht etwas Gutes, bevor etwas Schreckliches passiert.«
»Möglicherweise«, murmelte Rhiannon plötzlich ganz kurz angebunden, »ich komme morgen früh noch einmal her, um zu sehen, wie es dem Gefreiten Lawton geht. Danach wird er Ihr Patient sein, und Sie sind für seinen Fuß verantwortlich. Ich verlasse Washington schon morgen.«
»Etwa um mit der Armee vom Potomac herumzuziehen?« fragte Sydney belustigt.
»Ja.«
»Nun, da brauchen Sie sich nicht allzu viele Sorgen zu machen. Die Yankee-Generäle verbringen mehr Zeit damit, Lee aus dem Weg zu gehen, als ihn zu verfolgen. Wahrscheinlich haben Sie einen netten, ruhigen Sommer vor sich.«
»Vielleicht«, entgegnete Rhiannon und wandte sich zum Gehen.
»Kümmern Sie sich gut um Julian!« rief Sydney ihr nach.
Rhiannon wirbelte herum und sah Sydney durchdringend an, um festzustellen, was sie damit hatte andeuten wollen.
Aber Sydney erwiderte nur: »Wenn die Yankees auf Lee treffen, treffen Sie auf meinen Vetter. Sein Quartier ist das Zelt, das dem Kampfgeschehen am nächsten liegt.«
Rhiannon hatte das Gefühl, als lege sich eine eiskalte Hand um ihr Herz, und sie erschauerte. »Ich werde versuchen, auf ihn achtzugeben«, sagte sie dann kalt, »und Sie sollten sich besser um Ihren eigenen Kram kümmern. Mit Spionage ist nicht zu spaßen.«
»Bisher haben sie hier noch keine Frau gehängt!«
»Einmal ist immer das erste Mal«, gab ihr Rhiannon noch als Warnung mit auf den Weg.
»Sie könnten doch versuchen, mich hier rauszubekommen.«
»Warum sollte ich?«
Sydney zuckte die Achseln und sagte: »Zum Beispiel Jerome zuliebe. Seine Frau hat immerhin dafür gesorgt, daß Sie hierherkommen konnten. Und wenn Sie es nicht ihr zuliebe tun wollen, dann vielleicht für Julian.«
»Für Julian?«
Wieder zuckte Sydney mit den Achseln: »Dann um meinetwillen.«
»Das steht nicht in meiner Macht.«
»Vielleicht unterschätzen Sie Ihre Möglichkeiten.«
Rhiannon zögerte und wollte dann von Sydney wissen: »Angenommen, Sie kämen frei. Würden Sie dann nach Hause gehen und...«
»Mich benehmen?« vollendete Sydney spöttisch ihren Satz und zog abschätzig eine Augenbraue hoch, so daß es nun an Rhiannon war, mit den Achseln zu zucken. Aber wider Erwarten fuhr Sydney fort: »Wenn ich hier rauskäme, würde ich Weggehen und niemals wiederkommen. Das schwöre ich Ihnen.«
»Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, will ich es versuchen«, entgegnete Rhiannon beinah gegen ihren Willen, denn was hatte sie mit dieser Frau eigentlich zu schaffen?
»Sie sind doch eine Hexe - Ihnen wird schon was einfallen«, sagte Sydney unvermittelt.
Rhiannon starrte sie an und überlegte, ob Sydney ihre Hilfe wirklich so nötig hatte oder ob sie es nur genoß, sich über sie lustig zu machen. Sie schuldete Sydney McKenzie überhaupt nichts, oder etwa doch?
Plötzlich hatte sie ein ganz ungutes Gefühl, ein Zittern durchlief ihren Körper, und dabei wurde ihr deutlich, daß es Blutvergießen geben würde, wenn Sydney nicht bald freikäme. Sie hatte nicht die Bilder verletzter und toter Soldaten vor Augen, wie ihr das sonst schon öfter in ihren Visionen passiert war. Sie hatte einfach nur ein furchtbar ungutes Gefühl. Irgend jemand würde sterben, wenn sie nichts unternahm. Aber sie wußte nicht, wer.
»Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte sie schließlich.
15
Gegen Mitternacht kehrte endlich Ruhe im Lager ein. Glücklicherweise lagen die Zelte des Lazaretts von der Front abgewandt und etwas außerhalb des eigentlichen
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