Sieg des Herzens
abgerissenen Soldaten bildete. In ihrem weißen Nachthemd und mit den rosigen Wangen sah sie richtig jungfräulich aus. Ihr kurzgeschnittenes, strohblondes Haar und ihre himmelblauen Augen unterstrichen diesen Eindruck nur noch.
Zu Rhiannons Erstaunen starrte das Mädchen sie regelrecht feindselig an, obwohl sich Rhiannon ziemlich sicher war, daß sie einander noch nie begegnet waren. Sie wußte natürlich, daß es sich bei dem Mädchen um den vermeintlichen Soldaten handelte, den Julian auf dem Schlachtfeld lebend geborgen hatte.
»Hallo, es scheint Ihnen ja schon wieder ganz gutzugehen«, sagte Rhiannon, den Blick des Mädchens ignorierend. »Haben Sie vielleicht Dr. McKenzie gesehen?«
»Sind Sie seine Frau?«
»Ich, äh, ja. Wissen Sie, wo er ist?«
»Nein, und wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen bestimmt nicht sagen.«
»Oh, wie darf ich denn das verstehen?«
»Sie wollten, daß er umgebracht wird.«
»Wie bitte?«
»Wenn ich wieder auf den Beinen bin, werde ich nach ihm suchen. Er sollte mit jemandem Zusammensein, der sich um ihn kümmert«, sagte das Mädchen und strich sich über das Haar - wohl eine Verlegenheitsgeste, denn ihre streichholzkurzen Stoppeln konnten sie ja wohl kaum stören. »Dann werde ich mit ihm leben«, fuhr sie fort, »und es ist mir völlig egal, ob Sie sich von ihm scheiden lassen oder nicht. Er haßt Sie sowieso, hat er mir gesagt.«
Erstaunt sah Rhiannon die junge Frau an, die fast noch ein Kind war - und sich wohl deshalb so unmöglich benahm. Julian würde so etwas niemals zu einer Fremden sagen - dachte Rhiannon zumindest. Trotzdem machte sich Frucht in ihrem Herzen breit. Egal ob Julian das tatsächlich gesagt hatte oder nicht, letzten Endes war es womöglich die Wahrheit.
»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte Rhiannon dann zu dem Mädchen, schlüpfte wieder durch den Vorhang und lief eiligst die Reihen der Verwundeten ab, bis sie Dr. McManus gefunden hatte.
»Ah, Sie sind es, Rhiannon, mein Kind! Ich fürchte, er ist schon weg. Aber vielleicht erwischen Sie ihn noch am Bach. Er wollte ein Bad nehmen, bevor ihn die Jungs wegbringen.«
»Geht es ihm gut...«, fragte Rhiannon ängstlich.
»Ja, Rhiannon, unsere Leute sorgen schon dafür, daß ihm nichts passiert.«
Sie nickte, rannte hinaus und sah sich suchend nach dem Weg zum Bach um. Einer der Männer, dessen rechter Arm nur noch ein verbundener Stumpf war, wies ihr den Weg. Sie eilte den Trampelpfad, der zum Wasser hinunterführte, entlang und hielt erleichtert aufatmend inne, als sie Julian dort stehen sah. Er war allein. Irgend jemand hatte ihm einen neuen Uniformrock - natürlich eine Yankee-Uniform
- und einen federbesetzten Hut gegeben. Mit gesenktem Kopf blickte er aufs Wasser.
Ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Dann eilte sie auf ihn zu, rief seinen Namen: »Julian!« Sollte er sie doch von sich fortstoßen. »Julian!«
Als sich der Angerufene umdrehte, schlang sie ihre Arme um seinen Hals, stockte und stieß peinlich berührt, einen kleinen Schrei des Erstaunens aus, während sich ihre Finger in den Stoff seines Uniformrocks krallten.
»Ian!« entfuhr es ihr erschrocken.
»Rhiannon!« entgegnete der nicht minder überraschte Ian.
»Oh, es tut mir leid! Bitte entschuldigen Sie!« murmelte sie, während sie ihn losließ und von ihrer Zehenspitzenhaltung wieder auf die Füße kam.
Er hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt und blickte sie beinah liebevoll an, als er sagte: »Das war wirklich ein gutes Gefühl. Ich vermisse meine Frau sehr und bin sicher, daß sie nichts dagegen hätte, wenn mich meine neue Schwägerin umarmt.«
Rhiannon, die spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß, entgegnete: »Ich wollte ihn damit nicht beleidigen.«
»Das weiß ich. Ich habe mit General Magee gesprochen.«
»Ian, was ist mit Julian?«
»Ich würde niemals zulassen, daß er für die Sache mit dem Fotografen bestraft wird. Er ist doch mein Bruder! Aber in diesem Fall braucht er meine Hilfe oder meinen Schutz gar nicht. Jeder der Männer, die mit ihm da draußen waren, hätte es am liebsten selbst getan. Alle Yankees sind auf seiner Seite. Aber machen Sie sich keine Sorgen, man hat ihn schon weggebracht. Der Fotograf kann sich ruhig ereifern und aufführen, wie er will, aber an Julian kommt er nicht mehr ran. Sie bringen ihn nach Washington. Dort wird es ihm gutgehen.«
»Und Sie sorgen dafür, daß er ausgetauscht wird? Ach, bitte!«
»Ich werde tun, was ich kann.«
Enttäuscht ließ sie den
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