Sieg des Herzens
Aber schlafen kannst du später. Wir müssen jetzt erst mal wohin reiten.«
Erstaunt hielt Julian die Luft an und fragte dann geräuschvoll ausatmend: »Soll das heißen, daß du mir zur Flucht verhilfst?«
»Leider kann ich das nicht für dich tun. Aber ... die Jungs und ich ...«, an dieser Stelle hielt er inne, wandte sich um und wies auf Jim Brandt und Robert Roser, die hinter ihm im dunklen Flur standen, und die Julian jetzt erst bemerkte. »Nun, wir sind der Ansicht, daß dir noch eine Hochzeitsnacht zusteht.«
Julian zog die Augenbraue noch höher und sagte beinah vorwurfsvoll: »Ian, der Krieg mag einem einsamen Mann manchmal ziemlich zusetzen, aber ich bin doch lieber allein, als mich in Gegenwart des Feindes mit meiner Frau zu treffen; besonders unter den Bedingungen meiner Eheschließung.«
Seufzend entgegnete ihm Ian: »Mein alter Junge, ich kann dir nicht helfen, wenn du dir nicht selbst hilfst. Es gibt keine Zuschauer, deine Frau ist allein.«
»Allein?« fragte Julian verwundert. »Wie soll das denn gehen? Weiß sie das?«
»Nicht wirklich. Es sind mittlerweile schon so viele Krankenschwestern mit den Verwundeten nach Washington zurückgeschickt worden, daß sie nicht überrascht war, als ihr General Magee eine eigene Unterkunft zuwies - eine Art Verwalterhaus, das hinter dem großen Farmhaus steht, in dem Magee sein Lazarett hat einrichten lassen.«
Julians Herz begann wie wild zu schlagen. Und nicht nur sein Herz, sein ganzer Körper war in Aufruhr. Er fühlte, wie ihm der Puls in den Ohren pochte, sah dann an Ian vorbei zu Roser und Brandt und fragte: »Wie sieht es mit Ihnen aus? Geht das in Ordnung?«
Bevor sie noch antworten konnten, entgegnete Ian: »Ich hab' ihnen gesagt, daß du ihnen dein Wort darauf gibst, die Nacht nicht dazu zu nutzen, um Reißaus zu nehmen. Und daß ein McKenzie sein Wort hält.«
Julian nickte zustimmend und fragte dann: »Was ist mit...«
»Den Yankees, denen du das Leben gerettet hast? Ich denke, die können damit leben«, sagte Ian.
»Aber Rhiannon...«
»Nun, das hängt ganz von dir ab. Nein, sie weiß nicht, daß du kommst. Aber, wenn du die Gelegenheit nicht nutzen willst...«
»Gehen wir«, fiel ihm Julian da ins Wort.
Sie hatten ihm ein schnelles Pferd mitgebracht und begleiteten ihn noch durch eine Flußniederung und über ein Feld, bis sie zu dem Weg kamen, der von hinten an das alte Farmhaus mit seinen Nebengebäuden heranführte.
»Da ist es«, sagte Ian, dessen Pferd sich nervös aufbäumte, und wies auf ein kleines Steinhaus. »Und schlaf nicht ein! Du mußt da vor dem Morgengrauen wieder raus sein.«
»Ich hatte nicht vor, zu schlafen.«
»Da ist noch etwas, was du wissen solltest.«
»Und das wäre?«
»Sie erwartet ein Kind.«
Julian nickte und sagte nur: »Danke.« Dann saß er ab, band sein Pferd an einen Baum und ging rasch zu dem kleinen Cottage.
Mit einem Schlag war Rhiannon hellwach. Da war etwas! Sie hatte doch was gehört. Erschrocken setzte sie sich im Bett auf.
Es war ein ganz kleines Cottage, mit zwei Schlafzimmern, einer Waschküche und einem Wohnzimmer, an das sich die Küche anschloß. Dort gab es .eine große Feuerstelle zum Kochen und Heizen des kleinen Hauses. Rhiannon hatte die Tür des Schlafzimmers zum Wohnraum hin offenstehen lassen und sah jetzt, daß das Feuer in der Esse beinah verloschen war. Bevor sie sich hingelegt hatte, hatte sie sämtliche Fenster geöffnet, damit es ein wenig durchlüften konnte. Vielleicht war einfach etwas umgefallen oder ein Fenster zugeschlagen.
Aber dann zog sie erschrocken ihre Zudecke bis zum Hals. Hatte sich da nicht gerade etwas im Wohnraum bewegt? Nachdem General Magee das große Farmhaus und die umstehenden Gebäude requiriert hatte, wurden die Bewohner ihrer Häuser verwiesen. Vielleicht war einer zurückgekommen, um etwas zu holen, was bei dem plötzlichen Auszug vergessen worden war.
Vielleicht war es aber auch ein Deserteur oder sonst jemand, der ihr Böses wollte. Normalerweise stand sie unter Magees Schutz, und die Offiziere hatten sich ihr gegenüber äußerst respektvoll verhalten und waren auch immer so zuvorkommend und rücksichtsvoll gewesen, daß sie ganz vergessen hatte, wie es war, auf der Hut sein zu müssen. Aber nun war sie allein.
Entschlossen griff sie nach einem schweren Kerzenleuchter aus Messing, der auf ihrem Nachttisch stand, und stieg aus dem Bett. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür, ging vorsichtig über die Schwelle in den Wohnbereich und
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