Sieg des Herzens
dann und berührte die Stelle in Julians Gesicht, an der der Fotograf ihn erwischt hatte.
»Du solltest mal sehen, wie der andere aussieht!«
»Ich hab' schon davon gehört«, sagte Ian und atmete geräuschvoll aus. »Wir können einen Austausch arrangieren, weil du Arzt bist, aber es wird ein bißchen dauern.«
»Ian, du mußt mir nicht...«
»Doch, das muß ich. Wir haben die gleichen Eltern, erinnerst du dich? Vater und Mutter kommen sonst nach Norden und walken mich so richtig durch, wenn ich meinem kleinen Bruder nicht helfe.«
»Ian, sie haben uns noch nie verprügelt.«
»Das ist richtig, aber sie fangen bestimmt damit an, wenn sie herauskriegen, daß ich nicht mein möglichstes getan habe, um dich zu befreien - auch wenn deine neue Frau dich in diese Lage gebracht hat.«
»Das weißt du also auch schon!«
»Natürlich!«
»Hinters Licht geführt ... von einer Frau. Das ist ziemlich demütigend, findest du nicht?«
»Julian ...«, setzte Ian an, der Julians Meinung diesbezüglich nicht teilte, hielt dann aber einen Moment inne, da er nicht wußte, wie er ihm schonend beibringen sollte, was er darüber dachte. Schließlich sagte er einfach: »Sie hat dir damit wahrscheinlich das Leben gerettet. Magee hat mir von ein paar ganz erstaunlichen Dingen berichtet, die sich ereignet haben, während sie hierher unterwegs waren. Rhiannon kann wohl nicht wirklich hellsehen, aber manchmal hat sie so eine Art Eingebung. Und wenn sie so überzeugt davon war...«
»Egal, es ist nun mal passiert.«
Ian nickte und sagte, wieder auf das eigentliche Thema zurückkommend: »McManus tut es richtig leid, daß er dich verliert.«
»Ich habe auch sehr gut mit ihm zusammengearbeitet.«
»Sie bringen dich heute nacht zu einem Bauernhof, und morgen geht's los nach Washington. Sie wollen, daß dieser Kerl von Harpers denkt, daß sie dich heute schon abtransportieren.«
»Ich weiß.«
Ian grinste und sagte: »Ich hab' dir auch ein frisches Hemd mitgebracht.«
»Ian, ich bin ein Kriegsgefangener, keiner erwartet von dir...«
»Julian, jetzt schluck mal ein bißchen von deinem Stolz herunter. Es ist ein ganz simples weißes Baumwollhemd von zu Hause. Du kannst ja deine abgetragene Uniformjacke drüber anziehen.«
Julian nickte, nahm das Hemd und zog es über. »Danke«, sagte er dann mit etwas belegter Stimme zu Ian. »Ich habe versucht, mein altes zu waschen, aber ein paar von den Blutflecken gehen einfach nicht raus. Da war soviel Blut, Ian, so viele Tote. Lieber Gott, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünschte, daß dies die letzte Schlacht gewesen wäre.«
»Doch«, entgegnete Ian, »das geht uns allen so.«
Sie hörten Hufschlag, der sich näherte, und als sie in die Richtung blickten, aus der die Reiter zu kommen schienen, sahen sie Robert Roser und Jim Brandt mit einem dritten Pferd am Zügel auf sich zukommen. »Colonel, Sir!« salutierten die beiden vor Ian, der ihren Gruß erwiderte und dann zu Julian gewandt sagte: »Ich komme morgen früh noch mal vorbei, bevor du dich auf den Weg nach Washington machst. Versuch ein wenig zu schlafen. Die Politiker scheinen zwar außer sich über diese Angelegenheit, aber die Soldaten hier sehen in dir einen Helden, deshalb kriegst du heut' nacht auch ein richtig kuscheliges Bett.«
»Schön, Ian, dann bis morgen früh«, entgegnete Julian und ging auf das Pferd zu, das Jim Brandt für ihn mitgebracht hatte. Aber dann drehte er sich doch noch einmal zu Ian um und umarmte ihn. Er mochte ihn ja am nächsten Morgen sehen, aber dieser Krieg war trotzdem noch nicht zu Ende. Wer wußte schon, was bis dahin passierte? Dann stieg er aufs Pferd, da es Zeit wurde loszureiten, bevor es zu dunkel war.
Schnell hatte Rhiannon das Feldlazarett von McManus erreicht, saß ab und ging, sich nach Julian umsehend, über den mit Zeltplanen vor Regen und Sonne geschützten Vorplatz. Mit beiden Armen bahnte sie sich einen Weg durch die verletzten Männer, die dort warteten. Aber Julian schien nicht dazusein. Bestürzung ergriff ihr Herz, als sie ihn auch innerhalb des Zeltes nicht finden konnte. Am Ende befand sich ein mit Vorhängen abgeteilter Bereich.
Sie ging dorthin, hob den Vorhang und schlüpfte hindurch. Dahinter stand ein einzelnes Bett - ein richtiges Bett und nicht nur eine Pritsche, auf der die meisten Soldaten nach der Operation gepflegt wurden. Und in diesem Bett lag eine Frau - ein hübsches junges Mädchen, das einen harten Kontrast zu all den dreckigen und
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