Sieg des Herzens
neuen Angriff aus, stellte ihn dem Rat der Generäle vor, und einige der Herren legten ihr Veto ein.
Lincoln reagierte prompt und sehr verärgert: Meade habe nicht seine Generäle einzuberufen, um mit ihnen irgend etwas auszudiskutieren. Er solle Befehle geben! Außerdem verlangte er, daß die Unionsarmee die besiegten und sich zurückziehenden Konföderierten verfolgte, die mittlerweile schon bei Boonsborough oder Williamsport in Maryland angelangt waren. Aber Meade gab erst einmal keinen Befehl, die Unionsarmee auf die Fährte der Rebellen anzusetzen.
Es war schon Mitte Juli, als er sich endlich dazu entschloß, Lee eine Einheit nachzusenden. Zu diesem Zeitpunkt erreichten Magees Truppe Meldungen aus New York, daß es dort gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe, bei denen wenigstens einhundert Menschen verletzt oder getötet worden seien. Man hatte Kirchen niedergebrannt, und auch darüber hinaus hatte es erhebliche Verwüstungen gegeben. Trotz des Erfolges von Gettysburg, der einem Wendepunkt des Krieges gleichkam, gab es Nordstaatler, die den Krieg sofort beenden wollten.
Ende Juli befand sich auch Rhiannon wieder mit General Magees Kräften unterwegs in Richtung Süden, nach Virginia. Magees Kavallerie wurde dabei immer wieder in Scharmützel verwickelt, wenn versprengte Rebellen sie angriffen, sich dann aber meist schnell wieder zurückzogen.
Nachts lag Rhiannon häufig wach, weil sie Angst davor hatte einzuschlafen ... und zu träumen.
Jesse war von Gettysburg aus direkt nach Harrisburg verlegt worden, um sich dort richtig auszukurieren, bevor man ihn zu einer ruhigeren Pflichterfüllung nach Washington oder wieder zu seiner Kavallerieeinheit abkommandieren würde. Rhiannon hatte Sydney darüber in einem Brief informiert und auch darüber, daß es Jesse wieder ganz gutginge. Sie hatte ihrerseits nach Julians Befinden gefragt, aber noch keine Antwort erhalten. Soweit sie wußte, war er immer noch im Alten Kapitol, und damit in Sicherheit. Es gab dort viele Gefangene, die er behandeln konnte, so daß er - dachte sie - nicht auf den Gedanken käme, Fluchtpläne zu schmieden. Ian war noch einmal zu ihr gekommen und hatte ihr mitgeteilt, daß es wohl bis zum Ende des Sommers oder bis Anfang Herbst dauern würde, bis man einen offiziellen Austausch arrangieren konnte. Sie brauchte sich also keine Sorgen zu machen: Julian wußte, daß er einfach nur abwarten mußte, und er würde bestimmt nichts Unvernünftiges tun.
Meade schlug schließlich sein Lager in der Nähe von Warrenton, Virginia, auf. Der September brachte tagsüber heißes Wetter, aber nachts wurde es schon recht kalt. Rhiannon hatte genug zu tun. Zwar ließ Meade seine Armee im Augenblick nicht weiter Vordringen, aber seine Leute mußten sich trotzdem ihrer Haut wehren, weil Milizeinheiten, die von Süden her vorgedrungen waren, sie angriffen, um an ihre Vorräte zu kommen.
Die Tage zogen sich endlos dahin, manchmal angefüllt von Geschäftigkeit und manchmal furchtbar langweilig, aber immer noch - viel zu oft - tragisch. Eines Nachmittags hielt Rhiannon einen ganz jungen Soldaten im Arm, der bei einem Scharmützel einen Bauchschuß davongetragen hatte und für den man nichts mehr tun konnte. Es waren nur zwei kleine Einheiten aufeinandergetroffen. Aber was machte es schon für einen Unterschied, dachte Rhiannon, ob ein Mann nun während einer großen Schlacht fiel oder weil ihn irgendwo auf weiter Flur eine einzige Kugel erwischte.
Mitte September wurde sie immer wieder von Alptraumsequenzen gepeinigt, in denen auch ein Kind vorkam. Es war ein kleiner Junge, beinah noch im Krabbelalter. Aber sie konnte sein Gesicht nie genau erkennen. Er hangelte sich noch etwas unbeholfen an einem Zaun entlang, während die Sonne unterging und sich dunkelgelbe Schatten über die Landschaft legten. Als die Sonne dann den Horizont berührte, tauchte sie die ganze Szenerie in ein grelles Rotorange. Plötzlich hörte Rhiannon eine Explosion, die hinter dem kleinen Kind stattgefunden haben mußte. Männer schrien, Pferde wieherten, und sie sah, wie Julian über das Feld rannte, auf dem all die Toten und Sterbenden lagen...
Eines Nachts erwachte sie schweißgebadet aus diesem Traum, und war sehr froh darüber, daß er nun endlich vorbei war. Sie verstand nicht, was er bedeuten sollte. Er vermittelte ihr nichts, das sie in Bezug zur Realität hätte bringen oder nutzen können, um jemandem zu helfen. Außerdem war Julian immer noch im Alten Kapitol.
Dann
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