Sieg des Herzens
obwohl sie versuchte, sich ihm zu entziehen. Immer noch blickte er sie mit diesem durchdringenden Blick aus blauen Augen an. »Sie zittern ja. Sehen Sie sich bloß Ihre Hände an, und Sie sollten mal Ihre Augen sehen! Sie erinnern sich nicht an letzte Nacht, weil Sie sich nicht daran erinnern wollen. Und Sie behaupten, Sie sind nicht abhängig! Da hätten wir's doch wieder einmal! Letzte Nacht hatten Sie keine Beschwerden, bis die Zweifel aufkamen und Sie Angst vor der Wahrheit bekamen! Aber diese Nacht wird nicht so einfach sein. Es wird eine sehr lange, harte Nacht für Sie werden, Mrs. Tremaine. Sehr lang. Und lassen Sie sich's gesagt sein, ich werde nicht nachgeben -ich bin stärker als Sie und Ihre Sucht.«
Mit diesen Worten wandte er sich endgültig von ihr ab und verließ das Zimmer.
6
Julian war überrascht gewesen, daß sowohl Angus als auch Mammy Nor ihm geholfen hatten, Rhiannon dazu zu bewegen, mit ihm zu kommen. Obwohl sich Rhiannon zunächst Sorgen um ihre beiden Dienstboten gemacht hatte, die sie zurücklassen mußte, hatten die beiden sie schließlich davon überzeugt, daß sie eigentlich nicht in Gefahr seien. »Sie sind der Yankee, der mitten im Feindesland lebt«, hatte Angus augenzwinkernd zu ihr gesagt. »Und mit all den Bäumen und Büschen, die schon seit Jahren nicht mehr geschnitten wurden, werden wir wahrscheinlich den Rest des Krieges hier verbringen, ohne daß eine Menschenseele vorbeikommt.«
Daraufhin war Rhiannon nach oben gerannt, um sich zu vergewissern, ob Rachel auch schon reisefertig war. Das junge Mädchen hatte fast fertig gepackt und war sehr froh gewesen, daß sie das Haus verließen; selbst wenn das zunächst bedeutete, daß sie in ein Rebellenlager gingen.
Angus und Mammy Nor waren unterdessen unten bei Julian geblieben, und der hatte die Gelegenheit ergriffen, sie zu fragen: »Meinen Sie wirklich, daß Sie hier in Sicherheit sind?« Angus hatte gelacht und Julian versichert, daß sie alles hätten, was sie brauchten. Außerdem wollten sie sich um das Haus und das Grundstück kümmern. Sie hatten ihm hoch und heilig versprechen müssen, sich im Wald zu verstecken, falls sich Truppen nähern sollten - egal, ob Süd- oder Nordstaatler -, und erst wieder herauszukommen, wenn die Soldaten abgezogen waren.
»Machen Sie sich um uns mal keine Sorgen, junger Mann«, hatte Mammy Nor noch hinzugefügt. »Außerdem wird es höchste Zeit, daß Misses Tremaine hier rauskommt, und wenn Sie auch nicht ganz genau der Mann sind, den wir uns vorgestellt haben, weiß ich doch, daß die Wege des Herrn unergründlich sind. Sie werden sich schon um Misses Rhiannon kümmern. Aber sorgen Sie auch dafür, daß
Ihnen selbst nichts passiert, Doktor. Sie sollten gut auf sich achtgeben.«
Als sie schließlich zu dritt das Haus verließen, hatten ihnen Mammy Nor und Angus noch lange nachgewunken.
Am Anfang kamen sie sehr schnell voran, weil sie sich den Mondschein zunutze machten und sich, ohne ein Wort zu wechseln, über sonst dunkle, verwachsene Trampelpfade bewegten. Da Julian einen Großteil seines Lebens in Florida verbracht hatte, kannte er sich in diesem Staat gut aus, und was die alten Indianerpfade anging, konnte er wahrscheinlich sogar noch manch altem Indianer etwas vormachen. Er ritt nun ein anderes Pferd - ein rotbraunes Tier, das viel gesünder war als sein treuer alter Klepper, den er bei Angus gelassen hatte. Angus hatte ihm versprochen, sich um ihn zu kümmern und ihn wieder aufzupäppeln.
Während er so dahinritt und darüber nachdachte, was sein Bruder ihm erzählt hatte, stellte er fest, daß er Florida nicht gerne verließe, wenn man ihn tatsächlich schon bald in den Norden versetzen sollte. In letzter Zeit war er ohnehin nicht mehr so sicher, was er von diesem Krieg halten sollte. Er befürwortete die Sklaverei nicht, war aber auch nicht der Meinung, daß es der Bundesregierung zukam, selbstherrlich zu bestimmen, was die Leute in Florida zu tun und zu lassen hatten. Freunde hatten ihm erzählt, daß General Robert E. Lee - der oberste Kriegsherr der Armee der Konföderierten - schon einen Plan ausgearbeitet hatte, seinen Sklaven die Freiheit zu schenken, bevor der Krieg ausbrach. Lee war vehement gegen die Sezession eingetreten, aber als sich auch Virginia von der Union lossagte, hatte Lee zu seinem Staat gehalten.
Es war schon seltsam, dachte Julian. Am Anfang war auch für ihn die Entscheidung so einfach gewesen: Florida hatte sich von der Union getrennt, seine
Weitere Kostenlose Bücher