Sieg des Herzens
gekämpft.«
»Und mir dabei das Handtuch heruntergerissen.«
Empört stieß sie die Luft aus und fing wieder an, ihn wütend mit ihren Fäusten zu traktieren. »Das habe ich nicht! So etwas würde ich niemals tun!«
Er zuckte gelassen mit den Achseln und entgegnete: »Vielleicht nicht absichtlich, aber Sie haben es getan.«
Bestimmt machte er sich nur über sie lustig. Da! Er mußte sich ja fast ein Lachen verbeißen.
»Da war nichts zwischen uns!« schrie sie, wobei sich ihre Stimme zu überschlagen drohte. »Letzte Nacht ist überhaupt nichts passiert.« In ihren Worten schwang die Verzweiflung mit, daß doch etwas geschehen sein könnte.
Er sagte nichts mehr dazu, sondern ging weiter mit großen Schritten auf das Haus zu, ihre kleinen, trommelnden Fäuste ignorierend. Als sie am Hintereingang angelangt waren, trug er sie auch noch über die Schwelle.
Sobald sie im Haus waren, rief Rhiannon verzweifelt nach Angus. Aber im Herrenhaus war kein Mensch. Niemand reagierte auf ihr Rufen. Sie wußte nicht, wo sich die anderen befanden, aber sie spürte, daß sie ganz allein mit diesem Rebellen war. Genau in dem Augenblick, da sie das Gefühl hatte, vor Wut explodieren zu müssen, ließ er sie in einem der hinteren Wirtschaftsräume - zwischen Speisekammer und Küche - herunter und fragte: »Wo sind nun also Ihre Arzneien, Mrs. Tremaine?«
Mit geballten Fäusten starrte sie zu ihm hoch und zischte: »Wenn Angus zurückkommt, wird er Sie erschießen.«
Aber Julian entgegnete nur seelenruhig: »Angus sattelt gerade Ihr Pferd, Mrs. Tremaine.«
Verwundert starrte sie ihn an. »Das glaube ich nicht. Angus kommt aus Vermont. Er ist ein freier Mann. Er ist mir sowohl ein Freund als auch ein Diener. Er verabscheut Sklaverei...«
»Ich habe keine Sklaven, Mrs. Tremaine. Wenn Sie wollen, können Sie sich noch ein paar Sachen zum Wechseln und ein paar persönliche Dinge mitnehmen. Gehen Sie ruhig nach oben, ich werde mich bei Ihren Flaschen und Ampullen schon zurechtfinden und sie so verpacken, daß sie unterwegs nicht kaputtgehen.«
Immer noch ungläubig beobachtete sie ihn dabei, wie er sich ihren Vorrat an Salben, Cremes, Breiumschlägen und Opiumderivaten näher ansah. Er wußte ganz genau, was er wollte, und stellte die entsprechenden Flaschen und Tiegel zur Seite.
Völlig verblüfft über die Selbstverständlichkeit seiner Annahme, daß sie ihn begleiten würde, zog sie sich zurück, rannte die Treppe hinauf und stürzte in Rachels Zimmer, um sie um Hilfe zu bitten. Aber Rachel war nicht da. Verwundert und gleichzeitig wütend ging sie in ihr eigenes Zimmer, wobei sie leise vor sich hin fluchend überlegte, wohin die anderen alle nur so schnell entschwunden waren und was in Gottes Namen hier eigentlich vor sich gewährend sie sich immer noch darüber ereiferte, wie unmöglich sie das Verhalten des Rebellen fand, stellte sie fest, daß sie gerade dabei war, eine kleine Tasche aus Leinentuch zu packen, als ob sie wirklich vorhätte, einige Tage woanders zu verbringen. Wenn er sie schon dazu zwang, mit ihm zu kommen, wollte sie wenigstens ein paar persönliche Sachen mitnehmen. Sie öffnete den Schrank und holte einen Umhang heraus. Es war zwar Sommer und meistens ziemlich heiß, aber wenn es nachts regnete, was durchaus öfter vorkam, kühlte es immer erheblich ab. Aber der Schrank war voll von Richards Zivilkleidung.
Wie hatte sie das nur vergessen können? Einen Moment lang war der Schmerz über seinen Tod wieder so gegenwärtig, als sei es gerade eben passiert. Es war so schlimm, daß sie unfähig war, weiterzupacken. Aber nach einer Weile stellte sich wieder dieses Gefühl der Benommenheit ein, und sie zwang sich, der Realität ins Auge zu sehen. Richard war nicht mehr da. Und so schrecklich es auch sein mochte, mußte sie sich doch eingestehen, daß ihr das Gesicht des Rebellendoktors im Augenblick viel deutlicher vor Augen stand als Richards. Es war viel präsenter, als es ihr lieb war. Es schien sie zu verfolgen und ängstigte sie ...
Überleg nicht soviel! Hab keine Angst! Du mußt mit beiden Beinen auf der Erde stehen! Behalte einen kühlen Kopf, sei nüchtern und sieh den Tatsachen ins Auge!
Tatsache war, daß sich die Kleider des Rebellendoktors in einem bedauernswerten Zustand befanden. Mit zitternden Händen nahm Rhiannon ein Hemd und ein paar Reithosen von Richard aus dem Schrank. Sie biß die Zähne zusammen, als sie merkte, daß ihr ein Migräneanfall drohte, und hätte gern ein wenig Morphium
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