Sieg des Herzens
Landsleute waren verletzt und getötet worden, und als Arzt mußte er seinen Mitmenschen helfen. Aber jetzt stand die Zerstörung seines Heimatstaates, seiner Familie und all dessen, was er liebte, im Vordergrund.
Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf und belasteten ihn, so daß es eine ganze Weile dauerte, bis ihm be-
wußt wurde, daß er schon ziemlich lange so gedankenverloren dahingeritten war. Die beiden Frauen hinter sich hatte er beinah vergessen, da auch sie kein Wort miteinander sprachen. Es war schon bald Mitternacht, als er sich endlich zu ihnen umdrehte.
Rachel konnte sich kaum noch im Sattel halten, und Rhiannon sah besorgt zu ihrem Mündel hinüber. Sie selbst saß ganz aufrecht auf ihrem Pferd und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie schlecht es ihr ging. Das Mondlicht fiel auf ihre bleichen, wunderschönen Züge. Sie zitterte am ganzen Körper und hatte die Zähne zusammengebissen. Das sind die Entzugserscheinungen, dachte Julian.
Allein wäre er wahrscheinlich noch weiter geritten, aber so sagte er: »Wir machen gleich Rast. Da vorne gibt es einen Fluß und die Überbleibsel eines alten Indianerdorfes.«
Als er sie einen steilen, halb zugewachsenen Pfad hinunterführte, zog Rhiannon entrüstet eine Augenbraue hoch.
Aber er kannte sich hier aus. Nur den Abhang hinunter und dann noch ein Stück einen verschlungenen Weg entlang, und sie würden zu einem kleinen, dichten Wald gelangen. Sein Onkel war vor Jahren einmal mit ihm hierhergekommen. In dem Wald befand sich das ehemalige Indianerlager, das die Seminolen benutzt hatten, bevor ihr vom Pech verfolgter Häuptling Osceola von General Jesup in einen Hinterhalt gelockt worden war.
Obwohl das Unterholz seit Jahren nicht mehr als dauerhafter Aufenthaltsort genutzt wurde, kamen doch hin und wieder Reisende dorthin, die das Versteck kannten. Aus diesem Grund waren die mit Palmwedeln gedeckten Dächer noch einigermaßen erhalten und die Böden der Pfahlbauten immerhin ab und zu einmal saubergemacht worden, so daß man sie nun recht schnell vom Staub der Zeit befreien konnte, um das Nachtlager dort aufzuschlagen. Ein kleiner Fluß, der in den St. Johns mündete, schlängelte sich direkt vor den ehemaligen Indianer-Chickees.
Nachdem Julian den beiden Frauen vom Pferd geholfen hatte, zeigte er ihnen eine Stelle, von der sie gut ans Wasser herankamen. Dann band er die Pferde fest und nahm Satteltaschen und Decken herunter, um für Rhiannon und Rachel hoch oben in einem der Pfahlbauten eine Schlafstatt zu errichten. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie hier einigermaßen sicher waren und wirklich nur der eine Pfad am Fluß entlang, den auch sie gekommen waren, zu dem Indianerlager führte, ging er selbst zum Wasser, um sich etwas zu erfrischen. Die beiden Frauen hatten ihren Durst bereits gestillt, und Rachel war scheinbar so erledigt, daß sie gar nicht bemerkte, wie still und blaß Rhiannon war.
»Ob wir hier wohl auch in Ruhe schlafen können«, war das einzige, was Rachel noch interessierte.
»Wir werden es ganz bequem haben.«
»Hier gibt es doch bestimmt Schlangen, oder etwa nicht?«
»Deshalb haben die Seminolen ihre Hütten ja auch auf Pfählen errichtet, Rachel.«
»Warum haben sie gegen die Schlangen keine Mauern gebaut?«
»Weil sie zu oft vor den Soldaten fliehen mußten«, erklärte ihr Julian geduldig. »Am Anfang haben sie in Blockhütten gelebt. Aber die Soldaten kamen immer wieder, um sie niederzubrennen. Und so haben die Indianer aus der Not eine Tugend gemacht und gelernt, Unterkünfte zu bauen, die man schnell und vor allem überall aufschlagen konnte: die Chickees. Man schläft gut darin. Sie werden es mögen. So hoch oben über dem Boden ... und es ist immer schön luftig.«
»Haben Sie hier schon einmal übernachtet?«
»Ich habe einen Onkel und einen Vetter, die beide indianisches Blut in sich haben. Sie leben unten in Florida in den Everglades. Ich selbst habe schon in vielen Chickees geschlafen. Es wird Ihnen gefallen, ehrlich. Ich passe schon auf, daß niemand kommt. Ihre Decke habe ich auch schon oben hingelegt.«
Schließlich lächelte Rachel und mußte gähnen, als sie zu Julian sagte: »Wissen Sie, ich glaube, ich schlafe gleich im Stehen ein, und wickle mich nun besser in meine Decke.«
Sie wünschte ihm noch eine gute Nacht und ging zu Rhiannon hinüber - die am Wasser stand, jetzt ganz weiß im Gesicht war und immer noch kein Wort gesprochen hatte -, um ihr einen Gutenachtkuß zu
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