Sieg des Herzens
der kurzen Zeit, die sie um Jeromes Bett gestanden hatten, hatte Julian schon alles für die Operation vorbereitet. Tia hatte ihm geholfen, obwohl sie die ganze Angelegenheit doch sehr aufregte. Julians Instrumente lagen nun ordentlich aufgereiht da - und waren peinlichst sauber, wie Rhiannon überrascht feststellte.
»Tia, Tupfer«, sagte Julian, als er und David damit begannen, die Mullbinden abzunehmen, mit denen man Jeromes Arm verbunden hatte. Tia nickte zwar, leistete seiner Aufforderung aber keine Folge. Wie gebannt starrte sie einfach nur auf ihren Vetter.
Nachdem der Verband entfernt worden war, trat Rhiannon näher ans Bett heran, um sich die Wunde genauer anzusehen. Dann sagte sie: »Eine Minie-Kugel«, und der
Rebell, den die anderen David nannten, warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Die Wunde war sehr gefährlich. Minie-Kugeln hatten die Form eines kleinen Kegels und flogen üblicherweise mit relativ geringer Geschwindigkeit. Dadurch drangen sie auch nur verhältnismäßig langsam in den Körper ein, verursachten aber äußerst unangenehme und gefährliche Verletzungen, weil sie dabei Gewebe, Knochen und Blutgefäße regelrecht in Fetzen rissen. Wenn man Glück hatte, schlug die Patrone glatt durch, aber bei Jerome war dies nicht der Fall gewesen. Sie hatte sich direkt vor einer größeren Arterie verkeilt.
»Du siehst mein Problem«, sagte David. »Er könnte verbluten, wenn man ihm die Kugel einfach so herauszieht.«
»Nimm den Arm ab! Du mußt ihm den Arm abnehmen, um sein Leben zu retten«, rief Tia entsetzt.
»Tia, er könnte dann immer noch verbluten«, entgegnete Julian ruhig.
Rhiannon erkannte, daß es nicht ausreichen würde, nur den Arm zu amputieren. So wie die Kugel saß, müßte Julian auch ein gutes Stück der Schulter wegschneiden. Wirklich eine gefährliche Angelegenheit!
Man hatte sie zwar nicht darum gebeten, aber nun stellte sie sich ans Kopfende des Bettes, um von dort aus Jeromes Wunde noch genauer betrachten zu können. Der Arm war saubergehalten worden, und die Wunde hatte sich nicht entzündet, da David Kompressen verwendet hatte, um Infektionserreger abzuhalten.
In diesem Augenblick erlangte Jerome das Bewußtsein wieder und sah zu ihr hoch. Er war ein außerordentlich attraktiver Mann - etwas ganz Besonderes - und überhaupt nicht daran gewöhnt, selbst auf dem Operationstisch zu liegen. Seine Augen waren Julians ziemlich ähnlich und sein Blick ruhte auch weiterhin auf ihr, als er sagte: »Sie kriegen das schon hin. Sie sind die Hexe. Retten Sie meinen Arm!«
Rhiannon legte ihm beruhigend eine Hand auf die gesunde Schulter und entgegnete: »Julian ist der Chirurg, und denken Sie daran, daß es vor allem darauf ankommt, Ihr Leben zu retten.«
»Julian, du kriegst das hin. Du kannst mir meinen Arm erhalten. Das weiß ich. Ich brauche ihn. Ich muß doch weiter segeln können. Vertrau der Hexe! Sie weiß, was zu tun ist. Sie werden mir doch helfen, nicht wahr, Yankee-Hexe?«
Unwillkürlich biß sie sich auf die Unterlippe, als sie daran dachte, daß den Anstrengungen der Unionstruppen besser geholfen wäre, wenn dieser Mann starb. Aller Augen waren auf sie gerichtet, und sie blickte nun wieder zu Julian, der sie höflich fragte: »Was halten Sie davon?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen ...«
»Doch, das wissen Sie. Ich kann die Arterie nicht klammern, und ich würde auch nicht darauf vertrauen, daß es hält. Glauben Sie, Sie könnten die Ader zudrücken, während ich operiere, damit er nicht verblutet?«
Erstaunt hielt sie den Atem an. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er sie darum bitten würde. Er mußte ja ungeheures Vertrauen in sie setzen. Sie schluckte und zuckte mit den Schultern, bevor sie ihm antwortete: »Wenn der Schiffsarzt und Ihr Mann ihn ruhig halten können, glaube ich, daß ich das mit der Ader hinkriege - ich habe lange, dünne Finger, so daß ich ganz gut an das Blutgefäß herankomme, während Sie die Kugel rausholen.«
Wenn ihr die Ader zwischen den Fingern wegrutschte oder Julian beim Herausziehen der Kugel mit seinem Arm an ihren stieß, würde Jerome wahrscheinlich verbluten. Sie gingen ein ziemlich großes Risiko ein. Aber entweder mußte die Kugel entfernt oder der Arm abgenommen werden. Wenn sie noch etwas länger warteten, könnte es sein, daß sich die Kugel in die Arterie vorarbeitete, und auch das würde ihn töten.
»O Gott«, stieß Tia verzweifelt hervor.
»Tupfer!« sagte Julian zu ihr. »Tia, Tupfer!«
Jetzt bewegte
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