Sieg des Herzens
wenden. »Nur wenige Ärzte können das von sich behaupten.«
»Dafür wissen sie mehr ...«
»Hm, mein Bruder Ian wollte einmal Klavierspieler werden. Er hatte sehr gute Lehrer und lernte eine Menge - und trotzdem ist er immer ein ganz miserabler Spieler geblieben. Musik muß man in der Seele fühlen, und entweder wurde man mit dieser Fähigkeit gesegnet oder nicht. Mit der Medizin verhält es sich ganz ähnlich. Sie haben eine Begabung, ein echtes Talent, und das kann Ihnen keine Universität der Welt beibringen.«
»Wenn ich tatsächlich ein Talent haben sollte, Leute zu heilen, wäre ich schon zufrieden. Wenn es nur nicht...«
»Wenn es nur nicht, was?«
»Mit diesen Träumen verbunden wäre«, fuhr sie kopfschüttelnd fort.
»Was für Träume?«
Rhiannon verfolgte die sich kreisförmig ausdehnenden Wellen, die von der Berührung eines Wasserläufers herrührten, und sagte dann: »Sie werden mir wahrscheinlich nicht glauben, aber in meinen Träumen sehe ich Gegenstände, Leute, Plätze und Dinge, die sich ereignet haben oder noch ereignen werden.«
Er sagte nichts dazu, sondern blickte nun wie sie aufs Wasser hinaus.
»Sie glauben mir nicht, nicht wahr? Kaum einer tut das.«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Sie wußten im-
merhin, daß Jerome kommt.« Er wandte seinen Blick Rhiannon wieder zu und wollte dann von ihr wissen: »Sagen Sie, sehen Sie ein Ende dieses Krieges?«
Rhiannon schüttelte den Kopf. »Ich kann mir leider nicht aussuchen, was ich sehe. Manchmal habe ich einfach nur Visionen.«
»Hatten Sie das immer schon?«
Lächelnd schlang sie die Arme um die Beine und legte das Kinn auf die Knie.
»Ob ich das immer schon hatte ... Ich bin nicht sicher. Vor dem Krieg dachte ich, daß meine Visionen etwas Gutes wären. Einmal war ein kleines Mädchen in St. Augustine seinen Eltern davongelaufen ... Sie hatte sich in irgendeinem alten Fischernetz am Strand verheddert. Ihre Eltern sind vor Angst fast verrückt geworden. Aber ihre Mutter hatte gehört, daß ich dort einmal einem Arzt geholfen hatte, und irgendwie war sie davon überzeugt, daß ich ihr Kind finden könnte. Und dem war auch so. Es war ein wunderbares Gefühl. Aber seitdem wir Krieg haben ... sehe ich nur noch Tod und Zerstörung.«
»Nicht immer. Sie haben doch meinen Vetter gesehen.«
Unsicher zuckte sie mit den Achseln.
»Sie haben ihn sofort erkannt, als Sie ihn sahen«, beharrte Julian.
»Das war nicht schwer. Er sieht genauso aus wie Sie.«
»Nein, nicht wie ich.«
Sie lächelte und verbesserte sich: »Nein, wie Ihr Bruder, und Sie sehen aus wie er.«
»Nur daß er stärker ist, nicht wahr?« Julian lächelte verschmitzt.
Jetzt wurde sie rot. Hatte sie tatsächlich so etwas zu ihm gesagt? Julian war schlank, äußerst muskulös und sehnig, aber nicht wirklich dünn. Sein Gesicht war scharf geschnitten, vielleicht ein wenig hohlwangig, aber sehr gutaussehend. Seine Augen blickten einen immer direkt an, waren von diesem ungewöhnlichen Kobaltblau und hatten etwas Forderndes. Keine einzige seiner Bewegungen war überflüssig. Seine Hände waren faszinierend schlank und fest und genauso schön geformt wie sein Körper. Die langglied-rigen Finger bewegten sich stark und geschickt beim Operieren und so verführerisch, wenn sie einen berührten ...
Um das Thema zu wechseln, sagte sie: »Rachel scheint an Ihrem Paddy ja einen wahren Narren gefressen zu haben. Sie ist wohl zu dem Schluß gekommen, daß er unterhalten werden muß, während er gesund wird, und deshalb liest sie ihm die Canterbury-Erzählungen von Chaucer vor.«
»Das habe ich gesehen«, entgegnete Julian lächelnd. »Sie ist eine wunderbare kleine Krankenschwester und überhaupt ein wundervoller Mensch. Sie dient treu ihrer Überzeugung, aber hegt doch viel zuviel Sympathie für ihre Mitmenschen, als daß sie denen, die Hilfe bräuchten, nicht zur Seite stünde, auch wenn diese eine andere Meinung haben als sie. Und sie trägt uns auch unser Täuschungsmanöver nicht nach.«
Rhiannon sah wieder ins Wasser und glaubte, sich verteidigen zu müssen. »Sie haben uns belogen, und deshalb habe ich die Yankees gerufen. Sie können es meinem oder Ihrem Glück zuschreiben, daß Ihr Bruder aufgekreuzt ist, Colonel.«
Julian lächelte in Erinnerung daran, was sein Bruder ihm von seiner Begegnung mit Rhiannon erzählt hatte, und sagte: »Sie sind in Ohnmacht gefallen.«
»Ich war erschöpft.«
»War das der Grund?«
»Bitte fangen Sie nicht schon wieder an,
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