Sieg des Herzens
sie sich endlich und tat wie geheißen.
»Ich bin soweit«, sagte Julian dann, sah zu David und dem Mann am Kopfende und noch einmal zu seinem Vetter.
»Jerome?«
»Ja?«
»Gut, du kannst mich also hören. Ich werde die Kugel jetzt rausholen, und es wird höllisch weh tun. Ich werde dir etwas Äther verabreichen. Du mußt einfach nur ruhig weiteratmen, wenn ich dir das Tuch auf den Mund drüc-
ke...«
»Keinen Äther!« brachte Jerome gerade noch heraus. »Spare es für die Männer auf, die ihn wirklich nötig haben. Ich ... ich habe genug Whiskey getrunken ... Fang jetzt an!«
Tia war immer noch dabei, die Tupfer und Mullbinden vorzubereiten, und drehte dabei dem provisorischen Operationstisch den Rücken zu. Rhiannon griff instinktiv nach dem Skalpell, das Julian als erstes brauchen würde, und nach der Zange, mit der er die Kugel herausholen könnte, nachdem er einen geraden Schnitt über der Einschußstelle gemacht hatte.
Als sie ihm die Instrumente reichte, trafen sich ihre Augen, und er sagte zu Tia gewandt: »Du mußt wieder herkommen. David muß Jerome stabilisieren, Malcolm sorgt dafür, daß er sich nicht aufbäumt, und Rhiannon kümmert sich um die Arterie. Wenn ich die Stelle vorbereitet habe, mußt du das Blut wegtupfen und das Skalpell nehmen. Danach gibst du mir so schnell wie möglich die Zange. Hast du das verstanden?«
»Ja, Julian.«
Er wandte sich einen Moment von dem Verletzten ab, und Rhiannon sah, daß Jeromes Augen wieder auf ihr ruhten. Sein schönes, sonnengebräuntes Gesicht glänzte schweißnaß vom Fieber und war schmerzverzerrt, aber er war bei Bewußtsein und bekam alles mit.
Wehmütig lächelte er zu ihr hoch und stammelte dann: »Wenn ... wenn irgend etwas schiefgeht ... bitte sagen Sie meiner Frau, daß ich sie liebe.«
Rhiannon nickte mechanisch und versuchte verzweifelt, die Tränen zurückzuhalten.
»Los jetzt«, sagte Julian.
Beherzt faßte Rhiannon in die Wunde und spürte das zitternde Fleisch des Mannes, sein Blut, sein Leben - all das lag nun in ihren Händen.
10
Corporal Anderson hätte sich bestimmt nicht träumen lassen, daß Rhiannon das Plätzchen am Bach so sehr lieben würde.
Am selben Abend saß sie wieder dort in der Dämmerung, beobachtete den Sonnenuntergang und dachte, daß nirgendwo auf der Welt dieses Himmelsereignis schöner anzuschauen wäre und deutlicher bewies, welch ein Wunder Gott damit vollbrachte. Die Sonne war riesengroß und glühte rotorange, während sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor dem blauen Himmel versank. Dabei warf sie einen Regenbogen über das Wasser, der in allen Pastelltönen leuchtete - darunter ein sanftes Rosa, das über Purpur ins Blau verlief, um dann von einem ins Goldene spielenden Hellgelb abgelöst zu werden.
Rhiannon genoß die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages, die, durch die Blätter der Bäume fallend, leicht zu vibrieren schienen. Dann hob sie das Kinn, schloß die Augen und stellte sich vor, daß die Natur sie streichelte. Und als ob das noch nicht genug wäre, hatte sie plötzlich das Gefühl, daß sie nicht mehr allein war. Sie öffnete die Augen, sah sich suchend um und erblickte Julian, der an einer moosbewachsenen Eiche stand und sie beobachtete.
»Wie geht es ihm?« fragte sie.
»Gut, zäh wie ein alter Alligator - bis jetzt.«
»Dann hat er die Operation gut überstanden?«
»Wie ich schon sagte, zäh wie eine Echse«, wiederholte er, stieß sich von der Eiche ab und kam zu ihr hinüber, um sich neben sie auf den Baumstamm zu setzen, der beim Ufer im Gras lag.
Sie blickte über den Bach, spürte aber, wie Julian sie ansah, und wünschte, sich seiner Gegenwart nicht immer so bewußt zu sein. Da sie ihm nicht in die Augen sehen wollte, hielt sie ihren Blick weiterhin aufs Wasser gerichtet. Dennoch hatte sie das merkwürdige Gefühl, als ob sie die-sem Mann nicht mehr würde entrinnen können, und sie hätte ihr Leben gegeben, um zu verstehen, warum.
»Sie waren ganz außerordentlich«, sagte er zu ihr.
Mit einer abwehrenden Geste entgegnete sie: »Sie sind der Chirurg.«
»Ja, und ich bin gut, aber ohne Sie hätte ich diese Operation nicht vornehmen können. Sie haben unglaublich ruhige Hände. Man könnte meinen, daß Sie das gelernt hätten. Sie wissen ganz genau, wie Sie Ihre Finger halten müssen, selbst wenn Sie nicht sehen können, was Sie da tun.«
»Vielleicht hatte ich einfach nur Glück.«
»Nein, Sie haben begnadete Hände«, sagte er, ohne den Blick von ihr zu
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