Sieg des Herzens
weil ich ein Angehöriger bin. Ich habe Frau und Kind, und er glaubt vielleicht, daß er es ihnen schuldig ist, eine Amputation vorzunehmen, damit ich auch garantiert überlebe. Aber ich werde nicht sterben!«
»Den Arm hätte man gleich abnehmen sollen«, sagte Julian. »David hatte da völlig recht.«
»Du hast noch nicht gesehen, wo die Kugel steckt«, entgegnete David. »Ich konnte nicht an sie rankommen, und er hat mit einer solchen Vehemenz darauf bestanden herzusegeln, daß ich dachte, ich sollte ihm den Willen lassen.« Er zögerte, bevor er weitersprach. »Ist Risa wenigstens hier in der Nähe?«
Julian nickte und wandte sich zu einem Gefreiten, der sich draußen am Eingang des Zeltes aufgehalten hatte. »Wir müssen jemanden zu ihr schicken.«
»Liam wäre der Richtige«, entgegnete der Mann. »Er beherrscht es perfekt, sich wie ein Schatten in die Stadt zu stehlen und genauso unbemerkt wieder zu verschwinden.«
Julian nickte und sah wieder zu seinem Patienten.
»Bitte nehmt mir nicht den Arm ab«, bettelte Jerome jetzt regelrecht. »Ich werde schon durchkommen, nicht wahr, Yankee-Hexe?«
Rhiannon nickte und erschrak, als die Finger seines gesunden Armes nach ihrer Hand griffen, bevor er die Augen schloß.
»Jerome, Jerome ...«, flüsterte Tia, während sie ihrem Vetter das blauschwarze Haar aus der Stirn strich. Zu Julian gewandt, sagte sie dann mit angsterfüllter Stimme: »Er antwortet nicht mehr!«
»Seitdem er fiebrig ist, ist er immer mal wieder bei Bewußtsein, aber auch genauso schnell wieder weggetreten«, versuchte David Stewart sie zu beruhigen.
Aber das hatte bei ihr den gegenteiligen Effekt, denn nun entfuhr ihr nur ein: »O mein Gott...«
»Wir sollten anfangen«, sagte Julian.
»Sind Sie sicher, daß Sie mich dabeihaben wollen?« fragte ihn Rhiannon. »Es gibt genug Leute, die Ihnen hier zur Hand gehen können...«
»Ich will Ihre Hände«, unterbrach er sie forsch.
Sollte das etwa ein Test sein? Nein, dachte sie dann. Er würde nicht das Leben seines Vetters aufs Spiel setzen, nur um sich ihrer Loyalität zu vergewissern. Er glaubte tatsächlich daran, daß sie gewisse Befähigungen hatte, die ihm von Nutzen sein konnten. Plötzlich zitterte sie. Sie war keine Hexe und verfügte auch nicht über Zauberkräfte. Sie hatte nur eine Menge über Schlafmohn, Opium und dessen Derivate gelesen und wurde manchmal von der Fähigkeit verfolgt, von Dingen zu träumen, die sich dann später bewahrheiteten ...
»Mrs. Tremaine?« riß Tia sie aus ihren Gedanken, und die dunklen Augen der jungen Frau waren flehentlich auf sie gerichtet.
Der Verletzte stellte für alle hier eine große Herausforderung dar. Denn er war von ihrem Blut, aber er unterstützte auch die Konföderierten und sorgte dafür, daß die Rebellen Waffen hatten, Nahrungsmittel bekamen und mit Medizin versorgt wurden.
»Mrs. Tremaine, mein Vetter wußte, daß Sie hier sind, und er möchte, daß Sie jetzt bei ihm bleiben. Nur Gott weiß, warum, aber...«
Rhiannon spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden. »Ich bleibe hier, aber ich habe noch nie bei einer Operation assistiert, will es aber versuchen ... Ich habe keine speziellen Fähigkeiten, müssen Sie wissen. Ich bin keine Hexe mit magischen Kräften.«
»Medizin ist doch Magie, oder nicht? Helfen Sie meinem Bruder, meinen Vetter zu retten! Zu viele Leute sind der Ansicht, daß Sie ein außerordentliches Talent im Umgang mit Kranken besitzen, als daß nicht etwas Wahres daran sein wird. Jerome ist ein guter Mensch. Er hat uns mit seinen Lieferungen geholfen, Kinder zu retten und auch immer wieder Verletzte. Er ist unser Lebenselixier, wenn Sie so wollen.«
Rhiannon senkte die Augen und spielte mit dem Gedanken, Tia McKenzie daran zu erinnern, daß durch Jeromes Dienste die Sache des Südens vorangetrieben worden war, die aber überhaupt nicht ihren eigenen Vorstellungen entsprach. Aber als sie ihren Blick wieder hob, sah sie, daß Tia sich dessen durchaus bewußt war. Sie schien dafür zu beten, daß Rhiannon dabei helfen konnte, das Leben ihres Vetters zu retten - und auch seinen Arm. Auch Julian beobachtete sie und wartete auf eine Antwort.
Rhiannon war nur ehrlich, als sie schließlich leise vor sich hin murmelte: »Natürlich will ich dabei helfen, Leben zu retten - egal wessen Leben.«
David Stewart und ein anderer Rebell - ein großer Kerl, dessen sich Julian anscheinend regelmäßig bediente, damit er die Patienten festhielt - waren im Zelt geblieben. In
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