Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
her.«
»Im Kühlschrank«, erklärte ich ihm. »Bedien dich.«
Das tat er. Er trug mich und meinen Rollstuhl nach oben in die Küche, machte sich ein riesiges Sandwich, goss sich ein Glas Milch ein und setzte sich zu mir. Ich erzählte ihm davon, wie ich den Flussteufel getötet hatte, und von den Otterkin. Ich erzählte ihm außerdem, was für Sorgen ich mir inzwischen wegen des Wanderstabs machte.
Er hatte nichts getan, seitdem er den Otterkin getötet hatte, aber es lauerte ein Eifer, eine Aura der Gewalttätigkeit, in ihm. Mir war aufgefallen, dass sich der Wanderstab, wenn ich besonders gereizt war, meistens in der Nähe befand. Vielleicht war es ja nur meine Einbildungskraft – ich hätte zum Beispiel Adam ohne weitere Beweise nicht davon erzählt. Aber Kojote war mehr Instinkt als Logik, also hatte ich das Gefühl, er könnte es verstehen. Ich glaube, ich hatte gehofft, dass er irgendeinen Vorschlag für mich hätte, aber er hörte mir einfach nur zu und nickte manchmal, während er aß. Ich erzählte ihm, wie es war, mit einer gebrochenen Hand und einem gebrochenen Bein selbst klarkommen zu wollen, während sich gegen meinen Willen ein gesamtes Werwolfrudel um
mich kümmern wollte, und sorgte so dafür, dass ihm beim Lachen die Milch aus der Nase lief. Mein Bein tat immer noch weh, meine Nähte juckten immer noch und Adam war immer noch weit entfernt in Texas, aber irgendwie fühlte ich mich trotzdem besser.
Kojote erzählte mir ein paar Geschichten über sich selbst. Und er erzählte die unanständigen Versionen. Fäkalhumor sollte eigentlich für niemanden, der älter ist als zwölf, noch witzig sein – und auch dann nur für die männliche Hälfte der Bevölkerung. Aber irgendwie war es etwas anderes, wenn Kojote die Geschichten erzählte, unschuldig und hinterhältig zugleich.
Er lehnte sich vor und berührte meine Nase. »Du bist müde. Ich mache mich besser auf den Weg.«
»Komm mal wieder vorbei«, lud ich ihn ein.
Kojote sah sich in der Küche um, dann sah er mich an. »Weißt du, ich glaube, das werde ich.« Er stand auf und sagte, hinter meinem Rücken: »Der ist wirklich wunderschön.«
Ich drehte mich so weit es mir möglich war in meinem Rollstuhl um und sah, dass er den Wanderstab in der Hand hielt, der sich wohl dort versteckt gehalten hatte. Er wirbelte ihn herum wie Charlie Chaplin.
»Ich glaube nicht, dass ich jemals etwas eleganter Geschmiedetes oder schöner Geschnitztes gesehen habe«, sagte er. Dann sah er mich an, lächelte und wartete darauf, dass ich verstand.
»Würdest du«, sagte ich bedächtig und erinnerte mich daran, was Charles mir über Gäste und die Dinge, die sie bewunderten, beigebracht hatte, »ihn als Geschenk annehmen? Er hat mich viele Tage erfreut, wie du auch – was
ihn zu einem passenden Geschenk für so einen geehrten und willkommenen Gast macht.«
Er grinste mich an, als hätte ich mich außerordentlich schlau angestellt. »Aber er ist in letzter Zeit ein wenig gefährlich geworden, oder? Wir werden wunderbare Abenteuer erleben, dieser Wanderstab und ich.«
Ich hatte den Stab oft dem Feenvolk zurückgegeben, als er sich mir zu Beginn angeschlossen hatte – und er war immer zurückgekehrt. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er bei Kojote bleiben würde.
»Pass auf dich auf«, sagte ich. »Und grüß deine Schwestern von mir.«
»Das werde ich tun«, versprach er und öffnete die Hintertür. Im Türrahmen blieb er stehen und drehte sich nochmal zu mir um.
»Sag deinem Gefährten, dass ich von ihm erwarte, dass er gut auf dich aufpasst«, knurrte er.
»Das werde ich.« Ich lächelte leicht. »Hab Spaß.«
»Oh, das werde ich«, sagte Kojote. Er schloss die Tür, aber trotzdem hörte ich ihn noch. »Den habe ich immer.«
Mercys Brief an Adam
Liebster Adam,
wenn du das liest, bedeutet das wahrscheinlich, dass ich es diesmal nicht geschafft habe. Verdammt. Diese Sache hat mir wirklich Sorgen gemacht, und hätte es einen Ausweg gegeben, hätte ich ihn gefunden.
Worte sind nicht meine große Begabung, nicht, wenn es Zeit ist, dir zu sagen, wie ich empfinde – aber das weißt du. Ich bin viel besser darin zu handeln, als mich zu erklären. Wie soll ich meine Gefühle für dich auf reine Worte auf einer Seite reduzieren? »Ich liebe dich« erscheint mir irgendwie nicht groß genug und alles andere, was ich versucht habe (du kannst den kleinen Mülleimer unter der Spüle durchsuchen, wenn du die Entwürfe für diesen Brief sehen
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