Sieh dich nicht um
daß sie und ein gewisser sehr attraktiver Gentleman sich fragten, wo Alice bloß steckte.
Na, wenigstens muß sie jetzt Farbe bekennen, dachte Tom.
Wenn sie kein Interesse hat, mit mir auszugehen, will ich es lieber gleich wissen. Ob sie wohl irgendwelche Probleme hat?
Draußen vor der Tür stand er ein paar Minuten auf der Straße herum und überlegte, was er jetzt tun sollte. Wäre er Alice im Fitneßcenter begegnet, hätte er sie zum Essen und ins Kino eingeladen. Der Film, der auf den Festspielen von Cannes die goldene Palme gewonnen hatte, lief im Uptown Theatre. Allein konnte er ihn auch sehen, aber dazu hatte er keine Lust.
Während er unschlüssig auf dem Bürgersteig wartete, wurde ihm langsam kalt. Schließlich zuckte er die Achseln. »Warum nicht?« sagte er laut. Er würde zu Alice fahren. Wenn er Glück hatte, war sie zu Hause, und dann würde er sie fragen, ob sie Lust hätte, mit ihm ins Kino zu gehen.
Vom Autotelephon aus versuchte er es noch mal, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. Sie war noch nicht zu Hause. Er parkte vor dem Haus, und ihm fiel ein, daß Alice im dritten Stock wohnte und ihre Wohnung direkt über dem Haupteingang lag.
Die Fenster waren dunkel. Ich warte noch eine Weile, beschloß Tom, und wenn sie nicht kommt, besorge ich mir was
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zu essen und vergesse den Film.
Vierzig Minuten verstrichen. Er wollte schon fahren, als ein Auto in die halbkreisförmige Auffahrt einbog und hielt. Die Beifahrertür wurde geöffnet, Alice stieg aus und rannte ins Haus.
Im Schein der Lampe über der Tür erkannte Tom, daß es sich um einen dunkelgrünen Plymouth handelte, fünf oder sechs Jahre alt, der Inbegriff eines unauffälligen Wagens. Auch auf den Fahrer konnte er einen Blick werfen und stellte erleichtert fest, daß es ein älterer Mann war. Zwischen ihm und Alice lief bestimmt nichts.
Im Foyer gab es eine Sprechanlage. Tom drückte auf den Knopf für Apartment 4F.
Alice meldete sich. Offenbar dachte sie, es sei der Mann, der sie eben abgesetzt hatte. »Mr. Svenson?«
»Nein, Alice, hier ist Mr. Lynch«, sagte Tom in einem Tonfall scherzhafter Förmlichkeit. »Darf ich raufkommen?«
Als Lacey die Tür aufmachte, sah Tom sofort, daß sie erschöpft, ja fast wie betäubt war. Sie war leichenblaß und hatte unnatürlich geweitete Pupillen. Er wollte keine Zeit mit einleitenden Bemerkungen vertun. »Offensichtlich geht es Ihnen nicht besonders«, sagte er voller Unruhe. »Was ist los, Alice?«
Der Anblick des großen, schlanken Mannes in der Tür, die Sorge in seinen Augen, seine Miene, die Erkenntnis, daß er zu ihr gekommen war, obwohl sie auf seinen Anruf nicht reagiert hatte, war beinahe zuviel für Lacey.
Doch als er sie Alice nannte, gewann sie ihre Fassung halbwegs wieder. Auf der zwanzigminütigen Fahrt vom abhörsicheren Telephon zurück zu ihrer Wohnung hatte sie ihre Wut an George Svenson ausgelassen. »Was ist bloß los mit diesem Baldwin? Ich gebe ihm Informationen, die ihm bei
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diesem Fall ganz bestimmt weiterhelfen, und er behandelt mich wie eine Kriminelle! Er hat mich einfach nicht für voll genommen. Es fehlt nicht viel, und ich fahre heim und spaziere über die Fifth Avenue mit einem Schild, auf dem steht: ›Rick Parker ist ein verwöhnter Tunichtgut, der Heather Landi übel mitgespielt hat, als sie mit zwanzig Jahren frisch nach New York kam, denn vier Jahre später hatte sie immer noch eine Heidenangst vor ihm. Wer dazu sachdienliche Hinweise beisteuern kann, soll sich melden.‹«
Svenson hatte darauf geantwortet: »Nehmen Sie's nicht so schwer, Alice. Immer mit der Ruhe.« Er besaß eine Stimme, die eine Löwin hätte besänftigen können, ganz zu schweigen von Lacey. Das lag natürlich an seinem Beruf.
Auf der Heimfahrt kam Lacey ein neuer schrecklicher Gedanke. Angenommen, Baldwin schickte einen von seinen Mitarbeitern zu ihrer Mutter oder zu Kit, um sicherzugehen, daß sie ihnen nicht erzählt hatte, wo sie wohnte. Die würden Mom sofort durchschauen, dachte Lacey. Sie würde ihnen keinen Bären aufbinden können. Anders als ich hat sie nicht gelernt, wie man lügt. Wenn Baldwin glaubt, daß Mom Bescheid weiß, wird er mich anderswo unterbringen, das steht fest. Ich schaffe das nicht, noch mal ganz von vorn anzufangen.
Immerhin hatte sie hier in Minneapolis einen einigermaßen akzeptablen Job und zumindest Ansätze eines befriedigenden Privatlebens.
»Alice, warum bitten Sie mich nicht herein? Es bleibt Ihnen sowieso nichts anderes
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