Sieh dich um: Thriller (German Edition)
zu jener Sorte von Etablissements, die man auch stundenweise mieten konnte – beispielsweise für einen schnellen Fick mit jemandem, der nicht die eigene Ehefrau war, vermutete Michalovic.
Mitten im Zimmer stand ein knarrendes Doppelbett, drei Meter davon entfernt in einer Ecke ein zerkratzter Holztisch, auf dem Michalovic seinen extragroßen Seesack mit seinen Werkzeugen abgestellt hatte. Abgesehen davon hatte das Zimmer an Mobiliar nicht viel zu bieten.
Braune Tapete schälte sich von den verbeulten Rigips-Wänden. Der Teppich war seit Wochen, wenn nicht Monaten nicht mehr gesaugt worden. Dicker schwarzer Moder sammelte sich in den Ecken unter der von Wasserflecken übersäten Decke. Zuoberst auf dem überquellenden Mülleimer neben dem Bett lag ein benutztes Kondom.
Michalovic schüttelte den Kopf. Er hatte noch keinen Blick in das Badezimmer geworfen, aber er bezweifelte, dass ihm gefallen würde, was er zu sehen bekäme. Ging man nach dem Schlafzimmer, war das Bad vermutlich voller Kakerlaken und fetter schwarzer Ameisen, die sich von den Essenskrumen der letzten Bewohner ernährten. Der Inbegriff einer verwahrlosten Absteige. Doch für sein Vorhaben eignete es sich perfekt. Ein Hotel der Sorte, wo sich jeder nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, selbst dann, wenn ein sterbendes Mordopfer mit den letzten Atemzügen um Hilfe schrie.
Michalovic setzte sich auf den unbequemen Holzstuhl am Tisch und spielte mit dem Reißverschluss seines Seesacks, während er ungeduldig auf das Eintreffen seiner Verabredung wartete. Er schloss die Augen und versuchte, ruhig zu bleiben. Die zwanzigminütige Fahrt mit der U-Bahn nach Harlem war ärgerlich genug gewesen. Die ganze Zeit hatte er eingeklemmt zwischen einer jungen Frau mit einem kreischenden Baby in den Armen und einem Obdachlosen gesessen, der gestunken hatte, als hätte er sich seit mindestens einem Jahr nicht mehr gewaschen. Nun kam erschwerend hinzu, dass es in der billigen Absteige keine Klimaanlage gab und sich auf seiner Stirn ein leichter Schweißfilm zu bilden begann. Der Lärm eines streitenden Paars aus dem Zimmer nebenan drang so ungedämpft durch die papierdünne Wand, dass es klang, als säße er mit den beiden im gleichen Raum. Offensichtlich war die Frau wütend darüber, dass der Mann die Vaterschaft ihres jüngsten Babys abstritt, des fünften im zarten Alter von zweiundzwanzig.
Die Frau sprach zuerst. »Wenn du Manns genug bist, ein Leben zu zeugen, warum zum Teufel bist du dann nicht Manns genug, dich darum zu kümmern, Malcolm?«
»Leck mich, du Miststück«, lautete die gleichmütige Antwort. »Ich bin nicht der Vater von dem Kind. Du hast mit mindestens drei meiner Kumpels geschlafen, von denen ich weiß, und es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn’s noch mehr waren. Hast du auch mit Twan gepennt? Er hat mir erzählt, er hätte dich auf Marisols Party getroffen. Scheiße, ich wette, das Kind ist von ihm.«
»Marcus ist dein Kind, Malcolm!«, schniefte die Frau, die eindeutig den Tränen nahe war. »Du weißt, dass er von dir ist! Sieh dir nur seine Augen an! Er hat die gleichen Augen wie du! Er sieht genauso aus wie du!«
Malcolms Lachen schnitt durch die Wand wie eine Rasierklinge. »Die Augen soll ich mir ansehen? Scheiße, du Schlampe, was sollen denn die Augen beweisen? Sieh lieber zu, dass du einen dieser verdammten Gentests machen lässt!«
Nach fünf Minuten dieses amüsanten, mit Harlem-Dialekt gespickten Geplänkels erklang an der Tür endlich das Klopfen, auf das Michalovic gewartet hatte.
Er warf einen Blick auf die Timex an seinem Handgelenk – ein weiteres billiges Utensil von der Heilsarmee – und lächelte. Zehn Uhr dreißig, auf die Sekunde. Seine Verabredung erwies sich als pünktlich.
Der Russe erhob sich von seinem Stuhl, ging zur Tür und öffnete einer schwarzen Mittdreißigerin in engen Elastan-Leggins und einer tief ausgeschnittenen Bluse ohne BH darunter. Oberschenkelhohe Lackstiefel und eine dicke Goldkette um den Hals vervollständigten das entschieden freizügige Bild. Wie es aussah, hatte auch sie erst kürzlich dem Laden der Heilsarmee einen Besuch abgestattet. »Bist du Beatrice?«, fragte Michalovic.
Die Frau ignorierte seine Frage und schob sich an seiner linken Schulter vorbei ins Zimmer. Dann drehte sie sich zu Michalovic um, musterte ihn von oben bis unten und rollte mit den Augen, während sie auf einem Kaugummi herumschmatzte wie eine Kuh beim Wiederkäuen. »Fünfzig
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