Sieh dich um: Thriller (German Edition)
graustichig, doch das Bild war klar und scharf.
Das Jagdhaus lag rund hundert Meter entfernt. Dana fühlte sich unwillkürlich ein wenig wie Buffalo Bill in Das Schweigen der Lämmer , als sie mit Brown bäuchlings auf dem weichen Boden lag und die Umgebung durch das Nachtsichtgerät beobachtete.
Bei dem merkwürdigen Gedanken durchlief sie ein Frösteln. Trotz der Jacke erschauerte sie. Ihr war klar, dass sie im Augenblick keine solchen Gedanken gebrauchen konnte. Immerhin lauerten Brown und sie versteckt im Wald einigen äußerst gefährlichen Männern auf, die keine Sekunde zögern würden, sie zu töten.
Dana versuchte, sich einen anderen Film ins Gedächtnis zu rufen, einen, der eher in die Richtung von Bambi ging – es funktionierte nicht. Alles, was ihr einfiel, war die Szene, in der die Jäger die arme Mutter von Bambi getötet hatten. Lag wohl an der Waldumgebung.
Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben.
Das Treffen der Kommission sollte erst in einer Stunde beginnen, doch schon jetzt bewachten bewaffnete Gorillas das Grundstück, rauchten filterlose Zigaretten und lachten über Witze, die Dana nicht hören konnte, die aber vermutlich ohnehin nicht witzig waren.
Zehn Minuten später machte Brown sie mit einem Handzeichen darauf aufmerksam, dass eine lange Kolonne eleganter schwarzer Limousinen über den unbefestigten Weg in Richtung des Jagdhauses rollte. Die Fahrzeuge hüpften über Schlaglöcher in der Fahrbahn, ihre Scheinwerfer durchschnitten die Nacht ringsum.
Im dunklen Wald zirpten Grillen und lieferten die unheimliche Hintergrundmusik, als die Oberhäupter der fünf herrschenden Familien von New York City einer nach dem anderen ausstiegen wie Könige auf Eroberungsfeldzug. Beflissene eifrige Fahrer eilten um die Fahrzeuge herum und hielten ihnen die Türen auf. Dana schüttelte angewidert den Kopf. Es war genau wie in Der Pate .
Als Erster stieg Carmine Tulio vom Luchese-Clan aus. Er trug ein weitaufgeknöpftes Seidenhemd, das einen dichten Pelz schwarzer, lockiger Brustbehaarung und eine dicke Goldkette um den Hals offenbarte. Als Nächster kam Bonaventure Abazzi von der Genovese-Familie mit einem leichten Hut und einem Hemd mit Blumenmuster, in dem er aussah, als wolle er mit der Familie in Urlaub fahren, statt sich am Alltagsgeschäft des organisierten Verbrechens von New York City zu beteiligen. Auf Abazzi folgte Fabricio Fabiano von der Colombo-Familie, ein kleiner, dicker Mann, der seinem Äußeren nach noch nie im Leben eine Mahlzeit ausgelassen hatte. Als Vierter stieg Anthony Lamana vom Bonanno-Clan aus seinem Auto. Mit zweiundfünfzig Jahren war er der jüngste der fünf Anführer und mit einer Größe von über eins neunzig der körperlich mit Abstand beeindruckendste.
Schließlich, als Letzter wie eine Ballkönigin, die sich geziemend verspätet, kam Joseph Tucci von der Gambino-Familie. In einem Tal voller Monster war er das größte Monster von allen, und nach dem Ausdruck auf den Gesichtern der anderen zu urteilen, wussten sie das auch.
Dana justierte das Hightech-Fernglas und fokussierte es auf Tucci, während sie sich an die Bilder zu erinnern versuchte, die sie in den Medien gesehen hatte. Tucci rauchte eine lange Zigarre mit einer dicken gelben Schleife am Ende des Stummels. Rauch kräuselte sich vor seinem Gesicht und ließ ihn die ohnehin schmalen Augen noch weiter verengen. Er war zwar nicht attraktiv im klassischen Sinn, aber auch keineswegs unansehnlich. Auf einer Skala von eins bis zehn hätte Dana ihm wohl eine gute Sieben gegeben.
Am auffälligsten jedoch war die spürbare Aura von Gefahr, die Tucci umgab. Vermutlich steigerte sie seine legendäre Anziehungskraft für das andere Geschlecht sogar noch – Tuccis Ruf als Weiberheld war in der Presse hinlänglich dokumentiert, worüber seine Ehefrau sicher nicht besonders erbaut war.
Tuccis wettergegerbte Haut spannte sich über die Knochen, und er sah aus, als fühle er sich trotz seines selbstbewussten Auftretens nicht allzu wohl in seiner Position an der Spitze. Er wirkte vielmehr wie ein Mann, der ständig das Bedürfnis verspürte, über die Schulter nach hinten zu sehen, ganz gleich, wie viele bewaffnete Leibwächter er beschäftigte.
Die dünne Schicht silbergrauer Haare auf dem Schädel konnte den Beginn einer Glatze nicht ganz verbergen – Risse in einem Panzer, den er sich im zarten Alter von siebzehn Jahren zugelegt hatte, als er zu einem der gefürchtetsten Killer der Mafia
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