Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
entdeckt hatte, und nicht die meinen, die, über und über mit Ameisen bedeckt, im Hundenapf lagen. Überraschung und Entsetzen ließen die dicke Make-up-Schicht, mit der Laura dezentere Grimassen überdeckte, brüchig werden.
» Madonna mia! «, rief sie. »Du verfütterst mein Essen an den Hund?«
»Äh, ähm.« Dass einem die richtigen Worte nicht einfallen, kennt man in jeder Sprache. »Daniela muss sie ihr gegeben haben«, stammelte ich und machte mir ihre Abwesenheit rücksichtslos zunutze.
»Erzähl mir nichts!«, sagte Laura und hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. »Ich will es lieber gar nicht wissen.«
Sie übergab mir ihre Lieferung, setzte ihre goldgeränderte Sonnenbrille auf und stürmte aus dem Garten. Nichts ahnend, was sie da soeben angerichtet hatte, zuckte Freccia in ihrem zum ersten Mal seit langem sorglosen Schlaf mit den Pfoten.
Laura schickte ihre Tochter zwar noch zum Unterricht, nur hatte Adele jetzt am Ende eines Monats einen Umschlag dabei. Freccias Reste waren wieder von gewohnter Qualität, aber das schien meiner neuen Gefährtin nichts auszumachen. Ein Hund, der von italienischen Essensresten lebt, isst besser als die meisten Engländer.
Am Donnerstag ist in Andrano Markttag, der von Einwohnern wie Straßenhunden gleichermaßen sehnsüchtig erwartet wird. Von Sonnenaufgang bis zur Siesta-Stunde quillt die Piazza Castello schier über mit Ständen und ist bis auf Fußgänger und Radfahrer komplett für den Verkehr gesperrt. Neben Lebensmitteln und Kleidern gibt es auch einen zum Delikatessengeschäft umgewandelten Wohnwagen, unter dem Freccia mit ihren Artgenossen geduldig wartete. Ihre Körper steckten unter dem Wagen, aber ihre Schnauzen sahen so weit hervor, wie die Ladentheke reichte. Dann und wann fiel etwas herunter, berührte jedoch nur selten den Boden. Freccia und ihre Freunde waren bessere Fänger als das australische Cricketteam.
Ich liebte es, am Markttag über die Piazza zu radeln, alle, die ich kannte, kurz zu grüßen – und das waren mittlerweile fast alle – und die Horden von Hunden unter dem mobilen Delikatessengeschäft zu beobachten, deren Augen nach oben gerichtet waren und den prosciutto aus dem Paradies erwarteten. Egal, wohin ich wollte, ich nahm sogar Umwege in Kauf, nur um an der Piazza vorbeizukommen. Der kalksteingepflasterte Platz war der Treffpunkt schlechthin, geschäftig und müßiggängerisch zugleich, wo Verkäufer ihre Rabatte herausschrien, die die Käufer noch weiter herunterhandelten.
Als ich eines Donnerstags auf dem Rückweg über die Piazza fuhr, bemerkte mich Freccia und folgte mir nach Hause. Sie quetschte sich vor mir durchs Tor, obwohl ich es geöffnet hatte, um selbst durchzukommen. Es war eines der letzten Male, dass ihr das noch gelang, denn von Lauras Essensresten und den herabfallenden Delikatessen wurde sie immer dicker. Danielas Eltern wollten im Oktober aus Sizilien zurückkommen, und da das Tor wegen Franco geschlossen bleiben musste, der noch weiter streunen würde als Freccia, wenn man es offen ließe, war die halbstreunende Lebensweise von Freccia akut bedroht.
Wie immer fand Daniela eine Lösung, die alle Beteiligten zufriedenstellte. Sie rief den fabbro an, den Schmied – wieder so ein buckliger compare -, der einen der unteren senkrechten Stäbe entfernte. Daniela hoffte, dass Valeria sein Fehlen nicht bemerken würde, bewahrte ihn aber für alle Fälle auf. Freccia besaß ein neues Fenster zur Welt und konnte wieder kommen und gehen, wann sie wollte.
Eine Woche nachdem wir dieses Fenster geöffnet hatten, sah ich mich gezwungen, es mit einem Ziegelstein zu schließen und Freccia am Geländer der Hintertreppe anzubinden. Der Tierarzt, der sie am nächsten Tag sterilisieren sollte, hatte ihr einen nüchternen Magen verordnet. Wenn sie in der Nacht frei umherstrich, würde sie bestimmt irgendetwas zu fressen finden. Für einen Freigeist wie Freccia war das wie eine Nacht im Gefängnis. Ihre räudigen Rudelgefährten kamen zur üblichen Stunde zum Haus, aber als sie nicht auftauchte, warteten sie vor dem Tor und heulten einen vigile herbei. Als ich rausging, um ihm zu versichern, dass es sich um eine einmalige Maßnahme handele, die uns alle vor weiterem Elend bewahren würde, sah ich, dass das Seil nass war, wo Freccia versucht hatte, sich frei zu kauen. Treue lässt sich niemals anhand der Länge eines Seils oder der Höhe eines Zaunes bemessen. Aber ich war froh darüber, denn Unabhängigkeit war
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