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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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zurückgelassen werden. Und was man von Menschen zu halten hat, die ihren besten Freund verhungern lassen, kann man sich denken.
    Wie immer schrecken die Gesetze nur wenige Urlauber davon ab, ihr Haustier auszusetzen, statt es mitzunehmen oder sich um eine vorübergehende Unterbringung zu kümmern. Und da es die meisten Italiener überflüssig finden, ihre Tiere zu sterilisieren, zeugen sie weitere Streuner, die, zumindest im Süden, zu einer richtigen Plage werden können. Im Sommer sah ich oft, wie sich auf dem Burggelände zwei zusammentaten, um sechs oder acht weitere zu zeugen. Solch verantwortungslose Vorfahren besaß auch Freccia. Sie war ein klassischer italienischer Straßenköter, dessen Vater sich gleich nach der Zeugung auf einer Straßenkreuzung aus dem Staub gemacht hatte und dessen Mutter nicht wusste, wie ihr geschah.
    Wie die verbeulten Haushaltsgeräte, die überall liegen gelassen werden, gehören räudige Straßenhunde zum Landschaftsbild Süditaliens. Ihre genaue Anzahl lässt sich genauso wenig bestimmen wie die Anzahl der Flöhe in ihrem Fell. Aber man nimmt an, dass etwa ein Viertel aller Hunde auf Sizilien Streuner sind, obwohl »Streuner« nicht gerade das richtige Wort für ausgesetzte Tiere ist. Und es gibt noch mehr ungewollte Katzen als Hunde, die im Müll nach Nahrung suchen, um zu überleben. Der italienische Begriff für ein kleines Dorf lautet un paese di quattro gatti – ein Dorf mit vier Katzen, aber in Andrano sind es bestimmt viertausend.
    Die Streuner suchen sich einen Platz, an dem sie Essensreste finden, und streifen umher, bis sich irgendjemand aus dem Dorf ihrer erbarmt. Das kann der Metzger sein oder der Barmann – ja, sogar der Priester besitzt eine »Herde«, die an seine Vordertür kommt, um gesegnet zu werden, und eine weitere, die vor der Hintertür wartet, um gefüttert zu werden. Auf Supermarktparkplätzen suchen sich die Hunde Käufer anhand des Inhalts ihrer Einkaufswagen aus und folgen ihnen zum Auto, in der Hoffnung, gefüttert zu werden. Ich kaufte stets extra Schinken, den die Hunde verschlangen, bevor sie die Verpackung so lange ableckten, bis ihr Aufdruck verschwand. Ein Labrador war so ausgehungert, dass er sogar die Verpackung fraß.
    Die meisten Einwohner von Andrano finden einen besseren Ort für ihren Müll als die Tonne, und sobald die Tiere fruchtbare Jagdgründe gefunden haben, bleiben sie ihnen auf immer treu. Eine alte Frau, die in der Nähe der Piazza wohnte, nannte ihr Haus L’Arca di Noè – Noahs Arche – und fütterte ganze acht Straßenhunde – einige mit drei Beinen, einige mit vieren – sowie zehn Katzen. Vielleicht hatten sie die Statue von Padre Pio vor ihrer Tür bemerkt und hofften, ihr Wohlwollen gelte allen Geschöpfen. Wenn einen die Streuner nicht selbst adoptierten, konnte man immer noch sie adoptieren. Jede Woche widmete die Fernsehzeitschrift heimatlosen Tieren eine Seite. Über anderthalb Millionen befanden sich in Tierheimen, verteilt über das ganze Land. Ich hätte sie am liebsten alle genommen, wenn das gegangen wäre. Aber Freccia wollte nur, dass ich einen nahm.
    Ich saß bis spät in der Nacht bei ihr auf der Hintertreppe, kraulte sie, während sie eindöste, und hoffte, ihr wenigstens das Ende so angenehm wie möglich zu gestalten. Massenweise Zecken hatten Energie aus ihr herausgesaugt und sie anämisch werden lassen, plumpe Parasiten auf dem Schatten eines Hundes. Ihr geschwollenes Gesäuge bestätigte die Geschichte eines Jungen, der uns erzählte, er habe Freccia vor zwei Tagen im ausgetrockneten Burggraben entdeckt und ihr die Welpen weggenommen, um ihnen ein Zuhause zu besorgen. Die Welpen hatten ihre Mutter ausgesaugt und sie so geschwächt, dass sie nicht mehr die Kraft hatte, sich dagegen zu wehren.
    Gegen Mitternacht verließ ich Freccia. Als ich am nächsten Morgen zurückkehrte, hob und senkte sich ihr Brustkorb immer noch, schwach, aber regelmäßig, obwohl sie weder Futter noch Wasser angerührt hatte. Wir hoben sie ins Auto und fuhren mit ihr zu drei Tierärzten, die sich ausnahmslos weigerten, ihr Leiden zu beenden. Ja, sie starb, aber nur aus Hunger. Sie litt an keiner tödlichen Krankheit außer am Ausgesetztsein, ein Schicksal, das sie allein in Apulien mit Tausenden von anderen Hunden teilte. Die Ärzte weigerten sich, sich in das Leben des Hundes einzumischen, und bestanden darauf, sie einen natürlichen Tod sterben zu lassen. Ich hätte von Naturwissenschaftlern ein logischeres Denken

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