Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
ihre einzige Hoffnung.
Am nächsten Morgen brachten wir Freccia zu einem Tierarzt nach Melafano, den uns Teresa empfohlen hatte, da er für Streuner einen Rabatt machte. Teresa, die seine Dienste bereits mehrfach in Anspruch genommen hatte, begleitete uns und hoffte, den Preis noch etwas weiter drücken zu können. Als wir um halb zehn wie vereinbart zu seiner Praxis kamen, war diese geschlossen. Also warteten wir vor dem weiß gestrichenen Haus, das genauso aussah wie die anderen in der Straße, nur dass ein Messingschild mit dem Namen des Tierarztes, seinen Öffnungszeiten und seinen Telefonnummern daran befestigt war. Seine Handynummer hatte sich geändert, und die neue war mit Klebeband über die alte geklebt worden.
Eine halbe Stunde später tauchte die Helferin des Tierarztes auf und öffnete die vordere serranda , um einen Foxterrier freizulassen. Der raste in einem solchen Tempo die Straße hinunter, dass offensichtlich war: Man hatte ihn eindeutig gegen seinen Willen festgehalten. Vielleicht gefiel ihm das Wartezimmer nicht: ein Metallkruzifix, eine verdurstende Topfpflanze, Hundehaare in jeder Ecke und ein abgestandener Geruch nach Tiermedikamenten.
Um halb elf, also eine Stunde zu spät, kam der Tierarzt so gemütlich daher, als sei er früh dran. Die Ähnlichkeit der kahlköpfigen und beleibten Gestalt mit Mussolini war kein Zufall, sondern eine bewusst kultivierte Ähnlichkeit: Dieser Mann wollte seinem Helden eindeutig nacheifern. Er ignorierte die Tiere, die geduldiger warteten als ihre Besitzer, begrüßte Teresa und gab uns ein Zeichen, ihm in sein Büro zu folgen, in einen Schrein für faschistische Andenken. Über seinem unaufgeräumten Schreibtisch hing der »Benito Mussolini 2000«-Kalender, auf dem stand: »Der duce ist auch im dritten Millennium mit Ihnen«. In einem Regal befanden sich drei verstaubte Flaschen Wein. Auf ihren Etiketten prangte ein Porträt von Benito, der den Gedenk-Bordeaux als »Stolz von Predappio« anpries, dem Geburtsort des Diktators. Wohin ich auch sah – überall entdeckte ich Andenken an den Faschismus, nur nicht im Wartezimmer, das von der Straße einsehbar war.
Wo sonst, wenn nicht in Italien, kann man über den Preis einer Gebärmutterentfernung verhandeln? Nach einer Diskussion, die besser auf den Markt gepasst hätte, führte man uns in ein Zimmer im hinteren Teil der Praxis, von dem aus man in einen ungepflegten Garten sah, wo eine Wäscheleine unter dem Gewicht einstmals weißer Handtücher durchhing. Wie der Rest des Hauses war auch der OP-Raum dreckig und mit einem Foto von Mussolini geschmückt. Diesmal saß er hoch zu Ross und zeigte in die Ferne auf noch zu erobernde Kolonien. Na ja, sagen wir mal auf Abessinien. In den Regalen standen außerdem Einmachgläser mit präparierten Organen, und auf der Bank lag eine tote Katze, die alle viere von sich gestreckt hatte. Der Hund, der mehr Terrorist war als Terrier, war inzwischen auch wieder zurückgekehrt und sprang auf einen Tisch in der Zimmerecke, wo er aus einer Schale mit chirurgischen Instrumenten trank, um gleich darauf im Warteraum zu verschwinden und einen Cockerspaniel zu besteigen.
Was soll man tun, wenn sich ein Neofaschist anschickt, seinen neuesten Freund zu einem Spottpreis aufzuschneiden? Im Nachhinein hätte ich eine Entschuldigung erfinden und die Pfoten unter den Arm nehmen sollen wie der Terrier. Aber im Eifer des Gefechts waren wir viel zu schockiert, um zu protestieren, und sahen reumütig zu, wie der Tierarzt das Betäubungsmittel verabreichte und die zierliche Freccia in einen künstlichen Schlaf fiel. Dann packte sie die Tierarzthelferin mit den hochhackigen Schuhen im Genick, brachte sie in Position und band ihre Pfoten an einem Tisch fest, der weniger steril war, als Freccia bald sein würde. Indem er Gummihandschuhe verteilte, lud uns der Tierarzt ein, bei der Operation zuzusehen, besser gesagt mich, denn Daniela und Teresa waren bereits beim Anblick der Spritze geflohen.
Freccias Bauch wurde mit einem Skalpell aufgeschnitten, eine kleine Öffnung entstand, in die der Tierarzt einen knubbeligen Finger steckte. Ihr geschmeidiges rosa Fleisch gab nach, und ich sah den empfindlichen Kern eines dickfelligen Hundes. In einem Moment, den nur er für angemessen hielt, versuchte der Tierarzt, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. »Was zum Teufel hat ein Australier hier unten zu suchen?«, fragte er und meinte damit höchstwahrscheinlich Süditalien. » Turismo «, entgegnete ich kurz
Weitere Kostenlose Bücher