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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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guten wie in schlechten Tagen. Francos Gedächtnis mochte gelitten haben, aber das von Valeria war genauso ungebrochen wie ihr Wille.
    Das Grausame an Alzheimer ist, dass die Krankheit die Vergangenheit genauso zerstört wie die Zukunft. Wir alle sollten das Recht haben, einen Blick auf jene werfen zu können, die wir geliebt, und auf das, was wir erreicht haben. Auf unsere Freunde und Familienangehörigen, auf unsere Triumphe und Tränen. Ich kann nur hoffen, dass der Tod Francos Erinnerungen wieder frei- und ihm sein altes Leben zurückgibt: seine Hochzeit, seine Musik, seine Kinder, seine Kunst. Und dass der professore , wenn ihn der Tod dann holt, das Paradies findet, das ihm im Leben trotz seiner fortwährenden Suche nie zuteilwurde. Einen Ort, den er nie gekannt hat, aber an den er sich stets erinnern wird. Wo immer dieser Ort auch sein mag, Franco, ich wünsche dir, dass dort die duftendsten Blumen wachsen und dein Vater aus dem Zug steigt.

21
     
    Eingeschneit am Meer
     
    A hh, das Mittelmeer: Sonne, Strand, Schnee … SCHNEE? Ja, Schnee, und zwar jede Menge. Schnee auf dem Glockenturm, Schnee am Strand und Schnee auf den Ästen des die Sonne liebenden Olivenbaums. Der Mythos Mittelmeer verspricht, dass der Sommer nie vergeht. Aber in Wahrheit ist der Winter bitterkalt und der Sommer brennend heiß.
    Es begann Ende Oktober. Die Sonne wurde weniger und die Wolken mehr. Die Tage wurden kürzer und die Nächte länger. Weißer Rauch quoll aus geweißelten Kaminen und tanzte im Wind, bevor er verschwand. Herbststürme zerzausten das Meer, und die Boote wurden aus einem kabbeligen Hafen gefischt. Nur die Olivenbäume behielten ihre Blätter, während das Laub der Vallonea-Eichen innerhalb weniger Wochen ausdünnte, bis sie splitterfasernackt waren. Touristen und nördliche Nummernschilder verschwanden, die Siesta fiel aus, die Läden änderten ihre Öffnungszeiten von der ora solare zur ora legale , La Botte leerte und die Piazza füllte sich. Die Temperatur sank drastisch, aber erst, als es beinahe fror, ersetzte Signor Api sein fleckiges Hemd durch einen Overall und eine Wollmütze mit Ohrenschützern, die so schlaff herabhingen wie die Ohren eines Bassets. Nicht mal sein selbst gekelterter Wein konnte die Extremitäten des alten Mannes vor einem mediterranen Winter schützen, der kälter, länger und grauer war, als ich mir das je vorgestellt hatte.
    Auch wenn sich die Landschaft ändert, ist es vor allem der Geruch, der im Absatz des italienischen Stiefels den Winterbeginn markiert. Der Bauernkalender endet Anfang November, wenn die Ernte eingeholt, eingelegt, getrocknet und eingesalzen wird, um sie in der darauffolgenden kalten Jahreszeit zu essen. In überladenen api transportieren die Bauern ihre Feldfrüchte zu ihren Hausfrauen, die Auberginen und Zwiebeln in Essig ertränken und Paprika und Sardellen mit Salz überschütten. Wie schon im Vorjahr drosch der krummbeinige Mann sein Korn am Straßenrand, und seine Frau ging ihm nach, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Andranos Straßen transportieren Geruch genauso zuverlässig wie Geräusche, die Aromen finden ihren Weg in jedes Nasenloch, auch in das der Streuner, die der Hunger in der Salz-und-Essig-Brise regelrecht hypnotisiert.
    Auch die sonnengereiften Oliven werden im Herbst geerntet. Mithilfe von besenartigen Vorrichtungen, die sie vom Baum holen, ohne sie zu beschädigen, schütteln die Bauern sie aus den Ästen in Netze, die dann auf bereits wartende Laster verladen werden. Danach werden die Oliven zum frantoio gebracht, wo sie sortiert, gewaschen, gemahlen und geknetet werden, bevor das Öl gepresst und dekantiert wird. Apuliens Olivenbäume produzieren ein Extra-vergine -Öl, das laut Daniela »schmeckt wie die Sonne«. Der Geruch von zermatschten Oliven ist angenehm, aber der Gestank, wenn ihre Kerne verbrannt werden, widerlich. Zum Glück wird in Andrano nur im kleinen Maßstab Olivenöl produziert, trotzdem würgte ich jedes Mal, wenn wir auf dem Weg nach Lecce an den Schloten vorbeifuhren.
    Der Geruch der Oliven wetteifert mit dem Geruch der roten und weißen Trauben, die auf Lastern aus den Weinbergen bei Brindisi angeliefert werden – eine Stadt, deren Name »Prost!« bedeutet. Im ganzen Salento schütten Kipplaster ihre Fracht in Keller, wo der Wein in Fässern selbst gekeltert wird. Von Anfang September, wenn die Trauben geerntet werden, bis November, wenn der Wein fertig ist, ist Andrano vom beißenden Geruch fermentierender Trauben

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