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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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erfüllt.
    Am 11. November wird dann der vino novello , also der »neue Wein«, auf der Festa di San Martino , die nach dem heiligen Martin und Schutzheiligen der Weinbauern benannt ist, verkostet. Die meisten Andranesi machen ihren eigenen Wein, den sie an San Martino zum ersten Mal probieren und der hoffentlich gut schmeckt, da er ein ganzes Jahr halten muss. Signor Api verkündete, er sei entzückt über sein Erzeugnis. Genauso wie der Filialleiter unserer Bank, Errico, mit dem wir San Martino verbrachten und zu den Klängen eines Banjos sangen, auf dem er meisterhaft spielte. So lange, bis er das fünfte Glas seines selbst gemachten Weins geleert hatte, woraufhin seine Akkorde demselben Zufallsprinzip gehorchten wie die Schlange in seiner Bank.
    Bis auf San Martino und das ein oder andere religiöse Fest gibt es im Winter nur selten Gelage, denn dann fallen Orte wie Andrano in Winterschlaf. Während der kalten Monate arbeiten die Andranesi und warten auf die warmen Monate, sie zählen die Tage, bis die Sonne in den Salento zurückkehrt. Das mediterrane Leben kreist um die Sonne und findet im Freien statt. Als Mitte Dezember innerhalb von vierundzwanzig Stunden zehn Zentimeter Schnee fielen, gab es keine Skier oder Schlitten, um das Beste daraus zu machen. Also holten wir uns unseren Kick, indem wir die vigili mit Schneebällen bewarfen und einen Schneemann mit Oliven als Augen bauten.
    Gegen Ende des Sommers verblassten die Freundschaften wie unsere Sonnenbräune, da viele Andranesi zu ihren weit verstreuten Jobs oder an die Universität zurückkehrten. Unsere Sommer-Clique verlor ihren Anführer Riccardo, der versetzt wurde, um das Verbrechen in einem berüchtigten Mafianest unweit von Palermo zu bekämpfen – etwas, worum ich ihn wahrhaftig nicht beneidete. Diejenigen, die blieben, blieben unter sich. Der einzige Freund, den ich sommers wie winters regelmäßig sah, war Renato, der mich bei jedem Wetter beim Tennis schlug.
    Ich fand es unglaublich, dass wir in einem Ort mit 5000 Einwohnern beinahe den ganzen Winter verbringen konnten, ohne zufällig auf jene Freunde zu stoßen, mit denen wir den Sommer verbracht hatten – die, die weggezogen waren, natürlich ausgenommen. Vielleicht, weil wir in einem gewissen Sinn auch weggezogen waren und es bevorzugt hatten, ein Haus am Meer zu mieten statt eines im Ort. Wir waren nach Andrano zurückgekehrt, um Valeria mit Franco zu helfen, aber das bedeutete nicht, dass wir alle unter einem Dach leben mussten. Wenn ich schon in einem italienischen Fischerdorf wohnte, dann am Meer, auch wenn das Wetter verrückt spielte, Salzgischt aufbrandete und die Wellen bis auf die Straße rollten.
    Als Andranos Bewohner also im Klammergriff der Kälte ihre Autos vollluden und den Hügel hochfuhren, um in ihre Winterresidenzen zurückzukehren, beluden Daniela und ich unser Auto und rollten den Hügel zu einem Haus hinunter, das für den Sommer gebaut worden war. Natürlich zerrissen sich die Leute darüber das Maul, wie immer, wenn man in Italien gegen den Strom schwimmt. Wir wurden für dumm erklärt, und von Daniela hieß es, sie täte plötzlich Dinge, die sie noch nie getan hatte, bevor ihr australischer Freund gekommen sei. Ich wurde mit Misstrauen beäugt und für verrückt erklärt, weil ich bei hohen Wellen im Meer schwimmen ging – und das, ohne nach dem Essen mindestens zwei Stunden zu warten! Aber niemanden ließ das kälter als uns. Unser extremer Lebensstil führte zu einer Solidarität, die uns zuerst zu Freunden und dann zu Liebenden machte.
    Das Strandhaus fanden wir mithilfe der in Italien höchsteffektiven Gerüchteküche. Ein Freund eines Freundes hatte gehört, dass wir so etwas suchten, und bot uns seine Dreizimmervilla mit Blick auf La Botte für gerade mal 150 Euro pro Monat an. Sie stand direkt an der gewundenen Straße, die von Andrano zum Hafen führt. Das zweistöckige Gebäude mit den weißen Wänden und roten Fensterläden war wie die meisten Strandhäuser nur für den Sommer gedacht. Die Möbel, die es enthielt, waren nicht besonders bequem, sodass wir den ersten Tag als Mieter damit verbrachten, Betten zu reparieren, Matratzen zu ersetzen und die Fenster und Türen zu versiegeln, damit der Winter draußen blieb. Die Dekoration bestand aus religiösem Kitsch. Nachdem wir uns gemerkt hatten, wo die Bilder hingen, um sie gegen Ende unseres Aufenthalts wieder an ihren ordnungsgemäßen Platz zu hängen, entfernten wir die Kruzifixe, den Wandteppich mit dem

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