Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
und unzufrieden mit seinem Los, wie ein Goldfisch, der sein Glas leid ist, oder ein Wellensittich, der sich in seinem Käfig langweilt.
Erstaunlicherweise stieß Franco in Andrano nicht auf Ablehnung. Im Gegenteil, seine künstlerische Begabung wurde bewundert, und viele kauften seine Bilder. Aber am liebsten umgab er sich mit seinen Schülern, mit aufnahmefähigen Geistern, die er dazu ermutigte, über die Grenzen ihres Ortes hinauszudenken. Er fand, dass junge Leute eine Verschwendung in Andrano seien, und hoffte, dass seine Kinder einen Beruf ergreifen würden, der sie woanders hinbrachte. Er war sogar dagegen, dass sich Daniela mit einheimischen Jungs traf, aus lauter Angst, sie könnte ihretwegen bleiben. Trotzdem begann und endete die Welt für Franco mit Italien. Hätte Daniela verkündet, sie würde nach Australien fliegen, um einen Mann zu besuchen, den sie in Irland kennengelernt hatte, hätte ihr Vater bestimmt den nächstbesten Nachbarsjungen organisiert, damit er seine Tochter heiratete. Er ermutigte sie herumzustreifen, aber bitte nicht weiter als Rom. Leider war Franco bereits krank, als Daniela und ich uns kennenlernten, und wir werden nie erfahren, ob er unsere Verbindung akzeptiert hätte oder nicht.
Ich habe mich oft gefragt, ob Francos Wunsch, sein Leben selbst zu bestimmen, seine Besessenheit, den Ort verlassen zu wollen, und seine Depression darüber, bleiben zu müssen, eventuell zu seinem labilen Geisteszustand beigetragen haben, der sich schließlich in Alzheimer äußerte. Tatsächlich diagnostizierten ihn die Ärzte zunächst als » depresso «, doch von da an – Franco war gerade neunundfünfzig – ging es rasend schnell mit ihm bergab.
Anfangs schob man eine Reihe kleinerer Aussetzer noch auf harmlosen Stress, aber dann häuften sich seine Irrtümer, und die Alarmsirenen begannen zu schrillen. Er vergaß, welcher Tag gerade war, verlegte seine Sachen und zündete sich die Zigarette am falschen Ende an. Er stand um drei Uhr nachts auf und war fest davon überzeugt, es sei Zeit, zur Arbeit zu gehen. Und wenn er durch Andrano fuhr, verfuhr er sich in Gassen, die für Fremde undurchdringlich sind, die die Einheimischen aber kennen wie ihre Westentasche.
Als Valeria begriff, dass ihr Mann eine Gefahr für sich selbst war, versteckte sie seine Autoschlüssel, überredete ihn, Urlaub zu nehmen, und ging mit ihm zu einer Reihe von Ärzten, die nach anfänglichem Zögern eine dramatische Diagnose stellten. Franco erfuhr von einem Spezialisten in Rom, dass er sowohl sein Gedächtnis als auch seinen Verstand verlieren würde, eine Vorhersage, die er prompt vergaß, wodurch sie unmittelbar bestätigt wurde. Als er am nächsten Abend wieder zu Hause war, erinnerte sich Franco an seinen Besuch beim Spezialisten und bat seine Familie, ehrlich zu sein. »Ich spüre irgendetwas hinter meiner Stirn«, sagte er. »Etwas Schweres, wie ein dumpfes Gewicht. Würdet ihr mir bitteschön erzählen, was da vor sich geht?« Aber niemand sagte es ihm. Daniela hielt ihre Tränen zurück, Francesco ging aus dem Zimmer, und Valeria legte den Kopf gegen die Schulter ihres Mannes. Ihre Unfähigkeit zu helfen machte sie genauso wütend wie Franco, dessen lichte Momente immer seltener wurden, bis ihm sein Leben, seine Sprache und seine Lieben immer mehr entglitten.
Es dauerte nicht lange, bis Franco nicht mehr wusste, wie er hieß, sich in die Hosen machte und schon mit so simplen Aufgaben, wie sich anzuziehen oder sich die Zähne zu putzen, überfordert war. Er war verwirrt, vergaß mitten im Satz, was er sagen wollte, und wusste nicht mehr, wo das Bad war. Mit der Hilfe und Unterstützung ihrer Kinder fand Valeria die Worte, ihren Mann zu überzeugen, nicht mehr Auto zu fahren, sich frühpensionieren zu lassen und ihr alles zu überschreiben, solange er sich noch an seine Unterschrift erinnern könne. Anschließend ließ sich auch Valeria frühpensionieren, und ihre tägliche Routine begann, einschließlich des Morgenspaziergangs im Garten, wo der professore , als ihn vorbeikommende Freunde grüßten, zum ersten Mal nicht mehr darauf reagierte.
Nach seinem Morgenspaziergang verbrachte Franco den Rest des Tages damit, durch das Haus zu schlurfen, während ich ihm hinterherschlurfte. Ich gab mein Bestes, damit er weder sich noch dem Haus Schaden zufügte. Er schob sich von Zimmer zu Zimmer, altbekanntes Terrain wurde zu einer völlig neuen Entdeckung. Wenn ich abgelenkt wurde und ihn kurz aus den Augen ließ,
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