Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
municipio von einer von Francos Burgskizzen angefertigt hatte und das der Bürgermeister als Logo für die Gemeinde verwenden wollte. Francos Name stand unten auf dem Plakat, neben dem Jahr 1992, in dem der Künstler noch nicht ahnen konnte, dass seine Gedanken einmal genauso abstrakt würden wie viele seiner Bilder. Ich dankte dem Bürgermeister und eilte nach drinnen, um Franco weiterzufüttern, der es zweifellos auch als Ironie des Schicksals betrachtet hätte, dass ausgerechnet er, der sich stets von Politik ferngehalten hatte, das Logo für die Regierungspartei seines Ortes kreiert hatte.
Franco zu versorgen war schon zu Hause schwierig genug. Noch schwieriger wurde es, wenn wir mit ihm ausgingen. Ich wartete, bis Daniela von der Schule nach Hause kam, bevor ich es wagte, ihren Vater auf irgendwelche Exkursionen mitzunehmen. Normalerweise fuhren wir an der Küste entlang, um zu sehen, wie die Fischerboote den Hafen verließen oder die Sonne über Castro unterging. Aber wir hatten auch Pflichten zu erledigen. Eines Nachmittags gingen wir zum Friseur, ein fensterloser Raum voller Zigarettenrauch und Jagdzeitschriften. Die alten Männer in der Schlange ließen Franco gerne vor, aber wir schafften es nicht, ihn dazu zu bringen, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Also lief er herum, während ihm der Friseur im Gehen die Haare schnitt.
Trotz ein paar Fransen sah Franco gut aus, als wir ein Foto für seine carta d’identità machen ließen, die erneuert werden musste. Luigi hielt die Kamera höher als gewöhnlich, damit die Hände, die sein Motiv festhielten, nicht mit aufs Bild kamen. Es war rührend, wie der Ort Ausnahmen für jenen Mann machte, der sein Logo gezeichnet hatte.
Nach zehn Tagen kehrte Valeria zurück. Ohne sich nach der langen Busreise auszuruhen, begann sie sofort, Francos Bart zu rasieren, den Daniela und ich hatten wachsen lassen, weil er die Ausdruckslosigkeit in seinem Gesicht verbarg und ihn verwegen statt verwirrt aussehen ließ. Dann widmete sie sich seinem Schuppenproblem, indem sie den Staubsauger anwarf, mit der rechten Hand die Saugdüse über seinen Kopf führte und mit der Linken sein Haar kämmte. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, schien Franco zu verstehen, was da passierte, so ergeben war sein Gesichtsausdruck. Ich beschwerte mich später bei Daniela, indem ich sagte, egal, wie wenig ihr Vater mitbekäme – aber dass Valeria seinen Kopf staubsauge, müsse doch wirklich nicht sein. »Sie macht das nicht, weil er nichts mehr mitbekommt«, erwiderte Daniela. »Als wir klein waren, hat sie mit uns dasselbe gemacht.«
Stur und resolut wie sie war – Sizilianerin, nicht Italienerin -, fuhr Valeria mit der Pflege ihres sterbenden Mannes fort, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Mit der Zeit erkannte ich, dass Danielas Mutter die eigensinnigste Frau ist, der ich je begegnet bin. Doch was ihre größte Schwäche war, wurde unter diesen Umständen zu ihrer größten Stärke. Sie ließ sich von nichts unterkriegen. So traurig es auch war, dass Franco erkrankt war, so glücklich konnte er sich schätzen, dass ihm Valeria zur Seite stand. Ich hatte ihn gerade mal zehn Tage gepflegt und war vollkommen erschöpft. Valeria pflegte ihn mittlerweile seit fünf Jahren, auf die vielleicht noch einmal so viele folgen würden, und Daniela hatte sie noch kein einziges Mal klagen hören.
Aber ihr Kampf war unfair, sowohl für Franco als auch für Valeria. Wenn man sich ständig darum bemüht, das Leben eines Menschen zu verlängern, der unter Umständen tot besser dran wäre, riskiert man, selbst geisteskrank zu werden. Tatsächlich hatten die Ärzte Daniela und Francesco ermahnt, genauso auf die Krankenschwester zu achten wie auf ihren Patienten. Erstaunlicherweise hatte Valeria noch die Kraft zu singen, während sie sich um ihren Mann kümmerte, » O sole mio « und andere italienische Schlager, die sie bei Laune hielten. Sie erfand sogar eigene Texte, um sich Mut zu machen wie » Dio vuole così « – »Es ist Gottes Wille«. Es war eine Qual, ihr zuzuhören, aber es half Valeria zu funktionieren. Ihre Energie schien unerschöpflich zu sein, aber Daniela wusste es besser und war vor allem wegen ihrer Mutter und weniger wegen ihres Vaters aus Mailand zurückgekehrt. Ich bewunderte sie fast genauso für ihre Entscheidung, wie ich Valeria bewunderte, die sich an das Gelübde hielt, das sie vor fünfunddreißig Jahren vor Gott getan hatte, nämlich ihren zigeunerhaften Mann zu lieben, in
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