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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Zigarre, und zwar wie der Polizist direkt unter einem Schild, auf dem »Rauchen verboten« stand -, und das mit einem Bußgeld drohte, das niedriger war als der Preis für eine Schachtel Zigaretten.
    Eine Durchsage verkündete, dass das Gate geändert worden war, und die meisten Passagiere gingen zu einem neuen Wartebereich und tauschten mit einer Reisegruppe, die nach Venedig wollte. Kurz darauf tauschten wir erneut mit Reisenden nach Palermo und später mit Passagieren, die nach Turin wollten. Eine vierte Durchsage bat unsere amüsierte Gruppe, die bereits das Gefühl hatte, man habe sich einen Spaß mit ihr erlaubt, zurück zum ursprünglichen Gate. Dort traf ich den dicken Mann wieder, der immer noch an seiner Zigarre lutschte und Zeitung las. Ein Wunder, dass er kein Loch hineingebrannt hat.
    Eine weitere Durchsage informierte die Passagiere, dass unser Flug große Verspätung habe und unsere Platznummern und Bordkarten aufgrund eines Flugzeugwechsels keine Gültigkeit mehr besäßen. Wir dürften uns hinsetzen, wo wir wollten, solange es nicht der Pilotensessel sei.
    Eine Stunde später kam ein Bus, der uns zu unserem Flugzeug brachte. »Nur in Italien kaufe ich ein Flugticket und bekomme eine Busfahrt!«, sagte ein Passagier, ein Italiener übrigens, trocken. Alle hörten ihn, doch bis auf mich, den Ausländer, zuckte keiner auch nur mit der Wimper. Ich sollte mich erst noch an die italienische Angewohnheit gewöhnen müssen, Kritik über einen menschengefüllten Raum hinweg zu üben, die weniger dazu diente, ein Problem zu beheben, als das Lamento zu genießen.
    Unser Bus fuhr über die Rollbahn und kreuz und quer über grasbewachsene, in der Sonne gelb gewordene Flächen und erreichte ein antiquiert aussehendes Flugzeug – eine MD-80, die in der frühen Sommerhitze vor sich hin kochte. Auf der obersten Stufe der ausfahrbaren Treppe zur Kabinentür blieb der Passagier vor mir plötzlich stehen und musterte den im Dunst daliegenden Flughafen. »Signora!«, rief er der Alitalia-Stewardess zu, die im Schatten der Flugzeugnase stand. »Ist das ein Koffer da auf der Rollbahn?« Tatsächlich stand in etwa 40 m Entfernung ein einsamer blauer Koffer auf dem Asphalt. Miss Alitalia ließ den Motor ihres winzigen Fiat Panda aufheulen und raste auf den flüchtigen Koffer zu. »Solange es nicht meiner ist«, sagte der Mann, der ihn entdeckt hatte, während wir uns in die Kabine einreihten und auf alles gefasst waren.
    Ich entschied mich für einen Fensterplatz, von dem aus ich eine gute Sicht auf die Rollbahn hatte. Dort fiel eine Frau mittleren Alters gerade in Ohnmacht, nachdem sie aus dem Bus ausgestiegen war. Ihre Tochter machte das Spektakel komplett, indem sie sich auf sie warf und weinte, als sei ihre Mutter soeben verstorben. Sanitäter eilten im Schatten eines der Flügel herbei und verkündeten, die Frau litte nur an Flugangst, bevor sie sie und ihre Tochter an Bord geleiteten.
    Als wir anrollten, bemerkte ich eine Spinne in meinem Fenster, deren Überleben mein eigenes gefährdete: Dass sie dort Nahrung fand, hieß eindeutig, dass das Fenster nicht luftdicht war. Aber ich verfügte weder über die Sprachkenntnisse noch über die notwendige Energie, diesen achtbeinigen blinden Passagier zu enttarnen. Er schien schon eine ganze Weile dort zu sein, und obwohl es sichtlich gealtert war, traute ich dem Flugzug doch noch einen kurzen Trip zu.
    Die Motoren versetzten uns einen solchen Schub, dass wir leicht waren wie eine Feder, während unter unserem Flügel Segelboote über das Mittelmeer glitten und die Spinne auf vorüberfliegende Insekten hoffte.
    Das Flugzeug landete sicher auf der Rollbahn in Brindisi, das 80 Kilometer von Andrano entfernt war, dem Ort, den ich mir seit fast einem Jahr in Gedanken ausmalte. Daniela schien es auch kaum erwarten zu können, ihn mir zu zeigen. Als ich das Rollfeld verließ und den winzigen Flughafen betrat, sprang sie über ein Geländer in den Passagierbereich, prallte gegen einen dösenden poliziotto und hieß mich aufs Herzlichste willkommen. Wären alle Neuankömmlinge so begrüßt worden, würde Italien bestimmt schnell vom drittmeistbesuchten Land der Welt zum meistbesuchten aufrücken. Nach unserer dreimonatigen Trennung vergaßen wir all die Leute um uns herum. Unsere dürstenden Lippen waren weich, unsere Augen geschlossen, unser Atem vermischte sich. Ich umarmte sie und ihr Sommerkleid.
    Ein Gepäckband setzte sich lärmend in Bewegung, und die Passagiere warteten

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