Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
nervös auf ihr Gepäck, weil sie sich an den flüchtigen Koffer in Rom erinnerten. »Es gibt nicht mal Gepäckwagen!«, rief ein Mann in einem Leinenanzug und mit Armani-Sonnenbrille. »Ein Norditaliener«, flüsterte mir Daniela zu. »Aus Padova. Das höre ich an seinem Akzent.« Wie ich später erfahren sollte, gibt es eine tiefe Abneigung zwischen Nord- und Süditalien, die Daniela noch am eigenen Leib erfahren sollte, als wir nach Mailand zogen. Aber ich wusste zu diesem Zeitpunkt nur, dass die Bemerkung des Mannes sowohl arrogant als auch korrekt war.
Falls Sie vorhaben, etwas durch den italienischen Zoll zu schmuggeln, sollten Sie einen weit entfernten süditalienischen Flughafen ansteuern, und zwar zur Mittagszeit, wenn das Flughafenpersonal, dem es verwehrt wurde, offiziell Siesta zu halten, genauso im Autopilotmodus funktioniert wie das Flugzeug, mit dem Sie hergekommen sind. Als Nächstes lassen Sie sich von Daniela abholen. Mit ihren Armen um meinen Hals und einem verblüffenden Selbstbewusstsein, denn schließlich hielt sie sich in einem für sie verbotenen Bereich auf, gebot Daniela dem unrasierten, schlicht gekleideten Zollbeamten sofort Einhalt. »Da ist nichts für Sie drin«, sagte sie unverblümt und dirigierte mich zum Auto, wo sie ihre überschwängliche Begrüßung fortsetzte.
»Mach das bloß nie in meiner Heimat«, riet ich ihr unterwegs nach Andrano, während sie andere Verkehrsteilnehmer verfluchte und erpresste, die keine so dringenden Bedürfnisse hatten wie wir.
»Wir haben uns doch nur geküsst.«
»Nein, das mit dem Zollbeamten.«
» Va bene «, sagte sie gehorsam und begriff, dass ich noch nicht wissen konnte, dass sie den Inhalt meines Koffers zwar nicht kannte, aber trotzdem keinerlei Risiko einging, da der verschlafene Flughafen den Nachmittag über mehr oder weniger geschlossen war, weshalb der Zollbeamte mehr daran interessiert war, nach Hause zu seinem Teller Pasta zu kommen, als meine Unterwäsche zu durchsuchen. Danielas unverschämtes Verhalten hatte uns einfach allen einen Gefallen getan. Die alten Regeln hatten ihre Gültigkeit verloren, genau wie es Barzini prophezeit hatte.
Nach einem kurzen Bad im Meer brachte mich Daniela ins Bett, wo ich trotz ihrer Aufmunterungsversuche schlief wie ein Toter. Genau ein Jahr lag zwischen dem Tag, den wir versucht hatten, so in die Länge zu ziehen wie »Bloomsday«, und dem, der aufgrund meiner Ungeduld gar kein Ende mehr nehmen wollte. Unbeabsichtigter- ja, vielleicht sogar ironischerweise fand meine Reise nach Andrano – zu der es nie gekommen wäre, wenn Joyce mich mit seinem Ulysses nicht nach Dublin gelockt hätte – am 16. Juni statt. Dabei hatte meine Odyssee erst begonnen.
5
Crristoper Arrison mit H am Anfang
I n Luigi Pirandellos Roman Mattia Pascal täuscht der Held seinen eigenen Tod vor, um dem zu entfliehen, was er die Tragödie des italienischen Bürgers nennt – nämlich die Unmöglichkeit, die Bürokratie zu umgehen, um ein freies und friedliches Leben zu führen.
Während des mühsamen Prozesses, ein legaler Einwohner von Danielas Land zu werden, war ich jedoch nie so verzweifelt, es Pascal gleichtun zu wollen. Ich hatte nie vor, mich umzubringen, obwohl ich manchmal durchaus gern andere umgebracht hätte. In Andrano zu leben war weitaus erfreulicher, als die offizielle Erlaubnis dazu zu erhalten – und das, obwohl ich es diesbezüglich leichter hatte als viele andere.
Bald nach meiner Ankunft in Italien musste ich meine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnispapiere auf einer Reihe von Ämtern vervollständigen. Vor jedem Behördenbesuch überlegte Daniela, ob sie nicht jemanden kannte, der dort arbeitete, oder zumindest jemanden, der wiederum jemanden kannte, der dort arbeitete. Jede Bekanntschaft war hilfreich, und sei sie auch noch so vage. Ob ein Cousin dritten Grades oder der Freund eines Freundes, spielte keine Rolle, Hauptsache, derjenige konnte uns ein Hintertürchen aufmachen. Als ich Daniela fragte, warum wir die Papiere nicht einfach selbst vervollständigen könnten, sah sie mich an, als stammte ich von einem fremden Planeten und nicht nur aus einem fremden Land.
»Vergiss es«, sagte sie. »Wir haben einfach keine andere Wahl. Wir sind hier in Italien.«
Bei jedem dieser Bekannten musste man sich bedanken, und da kam ich ins Spiel. Mehr konnte ich persönlich nicht zu diesem Prozess beitragen. Als ich durch den italienischen Zoll ging und mich fühlte wie ein Schmuggler von
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