Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
lebendig.
Trotz der Hitze schließen wir die Fenster, als wir die Pastafabrik Pedone und eine Olivenölfabrik passieren. Der sie umgebende Gestank ist genauso unangenehm wie der Rauch, der aus den Fabrikschloten quillt. Kurz darauf taucht an einem diesigen Horizont Lecce auf, eine Stadt im Hinterland, die fernab vom Meer beinahe umkommt vor Hitze. Wenn sie sich verschmutzt und wenig einladend vor meinen Augen materialisiert, hoffe ich jedes Mal, sie sei nur eine Fata Morgana.
Die superstrada führt auf den Stadtring von Lecce, auf dem zahlreiche Autos sämtliche Vorfahrtsregeln missachten und sich gegenseitig bedrängen. Die aufgemalten Spuren werden völlig ignoriert. Fahrer drücken schon beim geringsten Ärgernis auf ihre Hupen, obwohl sie erst wenige Sekunden zuvor an einem Schild vorbeigekommen sind, welches das Hupen verbietet. Nachdem wir über den Landstraßenasphalt gebraust sind, stecken wir zwischen hässlichen Wohnblocks im Stadtverkehr fest. An jeder Ampel bettelnde Immigranten. Benvenuti a Lecce .
Die Altstadt ist beeindruckend, der Stadtrand hässlich – ein schöner barocker Kern, umhüllt von unattraktivem Fleisch. Wie bei den meisten italienischen Städten steht die elegante Architektur von Lecces prächtigem centro storico in einem starken Kontrast zu den verwahrlosten Wohnvierteln. Derart alte Städte scheinen nur schwer mit dem wachsenden Platzbedarf von heute zurechtzukommen. Aber das Besondere an Lecce ist seine Geschichte und nicht die Jetztzeit. Wie bei Andrano, nur in einem wesentlich größeren Maßstab, waren Lecces vorchristliche Gründer umherziehende griechische Gemeinden. Später wurde die Stadt von einer ganzen Reihe von Heerführern umkämpft und regiert. Dazu gehörten der römische Kaiser Mark Aurel, die Normannen und dann für dreieinhalb Jahrhunderte die spanischen Bourbonen. Etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts führten patriotische Aufstände dazu, dass Lecce mit dem übrigen, gerade im Entstehen begriffenen Italien vereint wurde. Heute weht die Flagge einer stolzen Republik vor den Amtsgebäuden der Stadt, die gleichzeitig Verwaltungshauptstadt der Provinz Lecce ist.
Wir parken Napoleon gerade zwischen zwei städtischen Mülltonnen, als ein abgerissener junger Mann auftaucht. »Autoservice, signora «, informiert er Daniela. »Ich pass drauf auf.« Daniela wirft ihm eine Münze zu, die er in seine Jeans steckt, bevor er sich auf unsere Motorhaube setzt. Zur Mahnung an alle, die sich unserem Wagen nähern wollen, wenn auch nur, solange wir in Sichtweite sind. Zweifellos ein kleines Mafia-Geschäft, eine als freundliches Angebot getarnte Erpressung, die nahelegt, dass man sich bei Nichtbezahlung tatsächlich um das Auto »kümmern« wird. Obwohl Daniela solche erbärmlichen Erpressungsversuche hasst, weigert sie sich nur selten zu zahlen, da der Kleingeldbetrag ihrer Meinung nach ein vergleichsweise geringer Preis dafür ist, sich vor den eigenen Beschützern zu schützen.
Die Schlange im Ufficio Immigrazione reichte bis auf die Straße. Afrikaner, Kurden, Slawen und jetzt auch noch ein Australier warteten geduldig, in der Hoffnung, bleiben zu dürfen. Der einzige Schalter dieser Unterabteilung der Questura – des Polizeipräsidiums – war mit einem untersetzten Polizisten besetzt, der sich nur unwesentlich für seine Arbeit interessierte. Seine Mütze lag auf dem Tresen, und seine Augen waren nur noch zwei schmale Schlitze wegen des Rauchs, der von der Zigarette zwischen seinen Lippen aufstieg. Die Wartenden waren ziemlich angespannt. Sie warteten schon seit Stunden, manche nur, um sich danach zu erkundigen, ob ihre Aufenthaltsgenehmigung fertig war. Ein Afrikaner im Kaftan, dem man sagte, er solle in einem Monat wiederkommen, protestierte: »Das ist schon das dritte Mal, dass ich drei Stunden gewartet habe, nur um mir anhören zu müssen, dass ich noch mal wiederkommen soll.«
»Na und?«, rief der Polizist hinter seinem Plexiglas. »Wenn ich zur Bank will, muss ich mir auch einen Tag freinehmen.«
Man wusste nicht mehr, wer sich hier bei wem beklagte.
»Stehen Sie auch in der Schlange?«, fragte ein Slawe Daniela in fließendem Italienisch.
»Nein, gehen Sie ruhig vor«, sagte sie. »Wir warten auf jemanden.«
»Ah, Sie haben jemanden, der Ihnen hilft«, sagte er, als er meine Papiere sah. »Sie Glücklicher! Letztes Mal war ich mit meiner Rechtsanwältin hier, sie trug einen Minirock. Wir haben genau zwei Minuten gewartet. Aber heute konnte sie nicht. Wo
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