Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Mutter, so gut sie konnte. Valeria hatte ungefragt alle unsere Kleider aus der Einliegerwohnung eingesammelt und sie in die Waschmaschine getan. An der Wäschespinne hing meine burgunderrote Unterhose, die, wie sie behauptete, ihre Laken verfärbt hätte. Ich muss zu meiner großen Schande gestehen, dass meine Unterhose dermaßen alt und ausgeblichen war, dass sie kaum noch Burgunderrot enthielt. Es kam mir sehr unwahrscheinlich vor, dass sie jetzt abfärbte, wo sie es all die Jahre nicht getan hatte. Aber Valeria bestand darauf, dass sie ihre Wäsche ruiniert hätte. Daniela versuchte, eine von vielen trivialen Tragödien in einer italienischen Familie zu entschärfen, indem sie vorschlug, es liege am neuen Waschpulver, dass meine Unterhose abgefärbt habe. Das war der Beginn ihrer Rolle als Vermittlerin. »Das hat rein gar nichts damit zu tun«, verneinte Valeria. »Kauf keine rote Unterwäsche, Chris. Kauf weiße.« Dass ich jetzt mit zur Familie gehörte, hatte auch seine Nachteile.
Ein Thermometer, das am Besenbaum befestigt war, zeigte 40 Grad im Schatten an, und wie Nonna Lina bereits angekündigt hatte, wehte der Schirokko. Alles Leben am Hang kam zum Erliegen. Uns blieb nichts anderes übrig, als im Haus zu bleiben, eine Stunde lang zu essen und uns drei Stunden auszuruhen. Ich war froh, dass wir unseren eigenen Bereich hatten, die kühle Wohnung im Erdgeschoss. Dank der Aufgeschlossenheit Valerias fühlte sich ihre Tochter in der Einliegerwohnung wesentlich wohler, als das in einem mit Zeitungen verhängten Auto der Fall gewesen wäre.
Wie in Andrano begann die zweite Tageshälfte gegen fünf, wenn Daniela in die Rolle der Fremdenführerin schlüpfte und mir die Sehenswürdigkeiten in und um Alcamo zeigte. Zunächst war das die Altstadt von Erice. Der auf einer Bergspitze klebende Ort mit Meerblick soll einer Legende nach vor 3000 Jahren vom Sohn von Venus und Neptun gegründet worden sein. Ich hätte die Stadtmauern aus dem 18. Jahrhundert fotografieren sollen, das Kastell aus dem 12. Jahrhundert und die kopfsteingepflasterten Gassen, die so eng waren, dass wir im Gänsemarsch laufen mussten. Aber das tat ich nicht, obwohl ich es fest vorgehabt hatte. Ich hatte mir sogar extra einen Führer gekauft. Aber neben der Buchhandlung entdeckte ich eine pasticceria , die Obst aus Marzipan verkaufte, eine sizilianische Spezialität. Also setzte ich mich auf eine Bank und stopfte mich mit Minibananen, einer Orange, einer Mandarine und einem Pfirsich voll, während ich 700 Meter tiefer die Sonne über dem Hafen von Trapani untergehen sah.
Unsere nächste Station war die antike Stadt Segesta. Laut meinem Führer ist der 420 v. Chr. errichtete dorische Tempel mit seinen 36 Säulen das »am besten erhaltene griechische Bauwerk weltweit«. Eine ziemlich stolze Behauptung, aber dafür erübrigte sich die archäologische Diskussion, ob die Griechen ihre Gebäude nun mit Dächern bestückten oder nicht. Eine weitere »Oben ohne«-Attraktion ist das Amphitheater von Segesta, eine primitive Arena, die aus dem Fels des Monte Barbaro gehauen wurde. Hier fanden im Sommer keine Olympischen Spiele, sondern Darbietungen von griechischen Tragödien statt.
Weitere Ausflüge hatten das Garibaldi-Denkmal in Calatafimi zum Ziel, das an den berühmten Sieg seiner Rothemden über die Bourbonen erinnert, sowie so viel von Palermo, wie es die Hitze und unser spätes Aufbrechen zuließen. Nach Sonnenuntergang pflegten wir zum Hügel zurückzukehren, wo uns schon in der Auffahrt der Duft des Abendessens begrüßte. Etwas, das mich ehrlich gesagt mehr reizte als alle Leckerbissen aus meinem Reiseführer.
Jeden Abend deckte Valeria im Garten für zwanzig Personen. Die eingeladenen Nachbarn brachten Essen für vierzig mit. Ein typisches Festmahl begann mit Zia Tinas antipasti , zu denen prosciutto mit Honigmelone, Pizzastücke, Bruschette, frittierte Auberginen und in Öl eingelegte Zucchini und Paprika gehörten. Das allein hätte mir schon gereicht. Aber dann kam Luisas primo piatto , eine ungewöhnliche, aber unglaublich leckere Mischung aus Ofenkartoffeln und Muscheln. Anschließend gab es Nonna Linas Pferdefleisch in Tomatensauce. »Iss schnell«, sagte Antonio. »Es war ein Rennpferd.« Das Fleisch war zäh, aber erstaunlich geschmackvoll – obwohl ich die ganze Zeit daran denken musste, dass ich gerade ein Lebewesen verspeiste, das höchstwahrscheinlich intelligenter war als ich selbst. Valeria war normalerweise für den terzo
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