Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
beruhigenden Geräusche zu hören. Kies knirschte unter Francos Schuhen, als er in der Auffahrt hin und her lief, irgendetwas in sich hineinbrummte und sich mit den Stimmen in seinem Kopf unterhielt. Auf der anderen Seite des abfallenden Olivenhains, der unser Haus von seinem trennte, sang Nonno Totò auf seinem Balkon. Da er Jahre als Kriegsgefangener verbracht hatte, reichte es, dass ein neuer Morgen anbrach, um ihn ein Liedchen anstimmen zu lassen. » C’è scirocco!«, rief Nonna Lina und gab uns den täglichen Wetterbericht. Noch wehte kein Wind, aber sobald es Siesta-Zeit war, brachte der von ihr angekündigte Wüstenwind alles Leben zum Stillstand, und im Abend- aperitivo schwamm Saharasand. Ein Chor von Zikaden erweckte die Landschaft zum Leben. Ihr hypnotisierendes Konzert ließ mich zu einem Buch greifen, mit dem ich mich unter einem Baum ausstreckte. Aber an diesem Faulenzertag hatten wir noch viel vor. Vormittags stand ein Ausflug zum Strand auf dem Programm, bevor es sogar zum Schwimmen zu heiß wurde.
Die Cousins und Cousinen trafen sich zwischen ihren Häusern, bevor sie mit ihrem Wagenkonvoi aufbrachen. Die Sonne brannte immer erbarmungsloser, und da musste man sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten wie Sicherheitsgurten aufhalten. Wir fuhren mit Antonios Fiat Uno. Ich saß auf dem Rücksitz und klammerte mich an Danielas Arm, während sich Francesco und sein Cousin vorne eine Zigarette teilten. Selbst wenn ich mich hätte anschnallen wollen – auf der durchgesessenen Rückbank gab es gar keinen Sicherheitsgurt. Ein Bild der Madonna verdeckte die Benzinanzeige und rechtfertigte jede Form von Blasphemie, wenn das Benzin ausging. Die Straßen waren holprig und voller Schlaglöcher. Jedes Mal, wenn wir eines erwischten, verströmte der Anhänger, der vom Rückspiegel baumelte, seinen Duft. Nach ein paar Kilometern roch es im Wageninnern wie in der Parfümabteilung eines Kaufhauses. Antonio fuhr schnell, seine Sandalen in Schuhgröße 50 malträtierten das Gaspedal und verschmähten die Bremse. Ich entspannte mich ein wenig, nachdem wir eine Vespa mit einer ganzen Familie an Bord überholt hatten. Zu ihr gehörte auch ein Hund, der gefährlich auf dem Lenkrad balancierte. Es gibt immer jemanden, der noch schlechter dran ist als man selbst.
Antonio setzte uns an einem Strand ab, der Guidaloca hieß, bevor er sich auf die Suche nach einem Parkplatz machte. Er blieb den größten Teil des Vormittags verschwunden. Unser Konvoi hatte sich aufgelöst, wir hatten die anderen verloren, und bei einem überfüllten Strand heißt das, dass man sich auf dem Handy anruft, um sich wiederzufinden. Italienische Strände sind in den Sommermonaten völlig überlaufen. In dem Versuch, eine Überbelegung zu vermeiden, werden die Strandregeln Ende Juni übers Radio bekannt gegeben – Regeln, die die carabinieri erst recht zu Witzfiguren machen. In der Region Lazio zum Beispiel müssen die Schirme einen Mindestabstand von vier Metern aufweisen, in der Emilia Romagna sind es nur zwei Meter fünfzig. Für die Schirme von Guidaloca gab es keine Regeln. Sizilianer finden Strandregeln entweder nervig oder überflüssig – vor allem, nachdem sie auf dem Weg zum Strand ohnehin schon zahllose Regeln gebrochen haben.
Guidaloca besaß die Form einer Melonenscheibe, und das Wasser sah ebenfalls sehr erfrischend aus. Nachdem sie ihre Strandtücher ausgebreitet hatten, stürzten sich Daniela und Francesco ins blaue Nass, während ich über die Landzunge zu einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg hinauflief. Da er aus den Steinen der Landzunge erbaut worden war, war er perfekt getarnt – und zweifellos die Attraktion für jene verliebten Teenager, die ich darin vorfand. Doch leider hatten sie mich auf diese Weise auch nicht kommen hören. Kein Wunder, dass die Invasion Siziliens durch die Alliierten ein Spaziergang war.
Eltern mit einer strengen Sexualmoral zwingen ihre Kinder, ihre erotische Neugier in der Öffentlichkeit zu befriedigen. Als wir eines Abends auf dem Weg in ein Restaurant waren, kamen wir an einem Parkplatz vorbei. Daniela meinte, er sei später voller Leute, die sich näher kämen, als es die Handbremse normalerweise erlaubt. Ich dachte, sie meinte vielleicht ein, zwei Autos. Aber als wir gegen Mitternacht den Heimweg antraten, befanden sich sowohl die Autos als auch ihre Insassen Stoßstange an Stoßstange. In Neapel machen sich notgeile junge Paare nicht einmal die Mühe, einen Parkplatz aufzusuchen. Sie
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