Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Daniela und ich zurück auf dem Hügel und ließen uns auf ein Bettlaken sinken, das meine Unterwäsche angeblich befleckt hatte.
Nachdem ich viermal hintereinander die Sonne hatte aufgehen sehen, kam der allmorgendliche Ausflug nach Guidaloca nicht mehr für mich infrage. Ich wachte gegen Mittag auf und tat, was ich schon immer hatte tun wollen: Ich nahm einen Liegestuhl und setzte mich mit einem Buch und einem Glas Bier in den Olivenhain. So wollte ich den Tag beenden, bevor er überhaupt angefangen hatte, und vor allem endlich mal wieder allein sein. In Sizilien ist Zeit für sich selbst genauso selten wie Regen. Deshalb ist es auch unmöglich, mit sizilianischen Karten ein Solitaire zu spielen.
Ich nippte langsam an meinem Bier und las schnell. Ich war vollkommen vertieft in Sizilianische Schatten, Peter Robbs Buch über die Cosa Nostra. Die diabolische Saga erzählte mir mehr über Sizilien als mein Reiseführer mit seinen steinernen Sehenswürdigkeiten, die Menschen errichtet hatten, die längst tot waren. Was ich hier vor mir hatte, war eine unvollendete Geschichte offener Rechnungen. Die Wörter auf den Seiten dröhnten mir lauter in den Ohren als die Zikaden in den Bäumen. Die Mafia war unsichtbar und doch zum Greifen nah. Zu nah vielleicht. Im Jahr 1985 entdeckte man die größte Heroinraffinerie Europas. Sie wurde von der Cosa Nostra kontrolliert und war gerade mal ein Kilometer von unserem Besenbaum entfernt. Und 70 Kilometer weiter östlich liegt das bescheidene Städtchen Corleone, die Heimat von Salvatore Riina, dem schlimmsten Mafioso überhaupt. Das hat Hollywood veranlasst, seinen Boss der Bosse Don Corleone zu nennen. Ich machte sozusagen Urlaub im Kernland der Mafia – und zwar ganz unschuldig auf dem Land. Diese über jeden Zweifel erhabene Landschaft brachte geheimbündlerische Männer hervor, die ganze Orte und Städte, ja, die gesamte Insel kontrollierten.
Fasziniert von all dem Blutvergießen hatte ich nicht bemerkt, wie zwei Männer den Olivenhain betraten. Mit ihren dunklen Anzügen und Sonnenbrillen wirkten sie so, als seien die eleganten Gangster aus meinem Buch lebendig geworden. Sie hatten die Sonne im Rücken, und ihre langen Schatten fielen auf mich. Ich legte die Hand über die Augen und erkannte Antonio und Fabio. Ich war erleichtert und zugleich verwirrt, hauptsächlich wegen ihrer Aufmachung. Bei so einer Hitze trägt man nur dann einen Anzug, wenn es eine Hochzeit oder eine Beerdigung gibt, aber von nichts dergleichen war gestern die Rede gewesen.
Fabio nahm seine Sonnenbrille ab, bevor er den Grund für seinen Besuch erklärte. »Willst du mit uns beichten gehen, Crris?« Ich sank noch tiefer in meinen Liegestuhl. Dabei stellte ich für niemanden hier eine Bedrohung dar, mit Ausnahme des Insekts vielleicht, das in meinem Bier ertrunken war. Was hatte ich verdammt noch mal zu beichten, außer dass ich von diesen aufdringlichen Sizilianern in Ruhe gelassen werden wollte? War mein Pädophilen-Versprecher an allem schuld?
»Daniela hat gehört, dass wir gehen, und meinte, wir könnten dich mitnehmen.«
»Ach ja?«
Ich sah zum Haus hinauf und entdeckte Daniela, die grinsend auf einem Zementmäuerchen saß, mir zuwinkte und die Szene, die sie für mich arrangiert hatte, sichtlich zu genießen schien. Diesmal retteten mich meine ungenügenden Italienischkenntnisse, als ich mir eine Ausrede ausdachte, die keiner von uns verstand. Aber mein Stottern war überflüssig. Fabio und Antonio konnten sich das Lachen kaum noch verkneifen. Verdammte Sizilianer!
Daniela kam mit einem Bier auf mich zu und kletterte auf meinen Liegestuhl.
»Warum hast du sie nicht begleitet?«, fragte sie. »Du solltest beichten, was wir heute Morgen in der Einbiegerwohnung getan haben.«
»Ein lieger wohnung.«
»Ah, scusa.«
Sizilien ist eine Insel voller Widersprüche. Dort, wo die ewige Liebe gerade mal zwei Jahre hält, verliebte ich mich alle zwei Stunden in ein und dieselbe Frau.
» C’è scirocco «, schrie Nonna Lina, und alle auf dem Hügel wussten, wie das Wetter war. Aber als die Staubdecke am Nachmittag schließlich aufzog, waren Daniela und ich bereits unterwegs in den Winter. Der Sommer ging zu Ende. Es war der letzte Tag im August. Im September würden wir bereits in Mailand sein.
Wir waren nicht die Einzigen, die abreisten. Sobald die Temperaturen sinken, schließen die Strandlokale, und Schnee ziert den Ätna. Die beiden Schwestern würden in ihre Wohnungen nach Alcamo
Weitere Kostenlose Bücher