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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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piatto zuständig: Spieße mit Leber und anderen Innereien, über deren Herkunft ich lieber nicht nachdenken wollte. Für diejenigen, deren Arme dann immer noch weiter reichten als der Bauch, gab es Obst: Wassermelone, Aprikosen, Pfirsiche und Feigen.
    Und dann kam der coup de grâce , eine Kalorienbombe namens cannoli siciliani – aus Mehl, Zucker, Schokolade und Weißwein wird eine Hohlwaffel gebacken, die wiederum mit Ricotta und Schokolade gefüllt wird. Gäste und Dessert waren also gleichermaßen gefüllt.
    Mit flinken und genauestens durchchoreographierten Bewegungen ging Sergio nach jedem Gang mit einem Müllsack um den Tisch, in den wir alles warfen bis auf unsere Gläser. Seine Cousine Luisa folgte ihm und reichte uns die Plastikutensilien für den nächsten Gang. Jeder trug auf seine Weise zum Mahl bei. Zio Tonio brachte seinen selbst gemachten Prosecco mit – ein Weißwein, der so trocken war wie die Landschaft, in der das Marathonmahl stattfand. Und die ganze Zeit über fütterte Valeria Franco am Kopf des Tisches, versuchte, ihn still zu halten, und wischte ihm regelmäßig mit einer Serviette übers Kinn.
    Die Unterhaltung bei Tisch drehte sich ausschließlich um das, was darauf stand. Ja, das Reden über das Essen schien für meine Gastgeber fast noch wichtiger zu sein als das Essen selbst.
    »Wie kocht man Spaghetti in Australien?«, wollte Nonna Lina von Daniela wissen.
    »Sie massakrieren sie«, entgegnete Daniela. »Sie kennen kein al dente . Sie kapieren nicht, dass die Nudeln noch weiterkochen, während man sie probiert und abgießt. Nimmt man sie vom Herd, wenn sie schon weich sind, werden sie zu weich. Eine Spaghetti-Nudel braucht Rückgrat.«
    »Allerdings!«, sagte Nonna Lina stolz zu ihrer Enkelin. Nach dem Abendessen ging Sergio mit einem weiteren Müllsack um den Tisch. Alles kam hinein: Teller, Becher, Servietten, Besteck, ja, sogar die Papiertischdecke wurde entsorgt. Der einzige Beweis für das Festmahl waren einige Pfannen und Nonno Totòs Rülpsen, für das sich seine Frau entschuldigte. Totò schämte sich kein bisschen für sein vulgäres Benehmen. Einmal hielt sich der ergraute Herr sogar am Tisch fest, als einer weiteren Körperöffnung donnernd Luft entwich. » Scusate «, sagte er. »Ein Mann, der es unterdrückt hat, soll daran gestorben sein.«
    Trotz des Protests meiner Gastgeber bestand ich darauf, den Müll zur Tonne an der Straße zu bringen. Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Außerdem würde mir der kurze Bergab-Spaziergang helfen, den Berg, den ich gegessen hatte, zu verdauen. Valeria und ihre Schwestern strengten sich mächtig an, ihren Gast zufriedenzustellen. Also stellte ich sie zufrieden, indem ich alles aß, was sie mir vorsetzten, sogar einen möglichen Nachfahren von Seabiscuit. Wer sich in Sizilien Freunde zulegen will, legt auch deutlich an Gewicht zu.
    Eines Abends machte ich jedoch Zio Tonio Kopfzerbrechen, weil ich mich weigerte, seinen Nachmittagsfang zu essen. Er war stolz auf die Muscheln, die er eigenhändig von einer unter Wasser gelegenen Felswand geschnitten hatte. Die meisten gaben ein paar Spritzer Zitrone darauf, bevor sie sie aus ihren Schalen schlürften. Aber sie waren viel größer als die Austern, die ich gewohnt war, und sahen so erbärmlich und kränklich aus wie eine Schnecke mit Hautausschlag. Zio Tonio hielt mir hoffnungsvoll sein Tablett hin.
    » No grazie .«
    » Perchè? «
    Ich hob abwehrend die Hand, um höflich abzulehnen.
    »Ich möchte einfach nicht, danke.«
    Er hielt das Tablett noch näher.
    » Perchè no?«
    »Ich möchte einfach nicht, danke. Ich habe keinen Hunger.«
    » Ma perchè? «, beharrte er und sah Daniela fragend an. Sie sagte etwas, das ihn entmutigte, woraufhin er ebenso beleidigt war wie ich bedrückt. Ich konnte nur hoffen, dass das nicht auch das Ende seines selbst gemachten Weins bedeutete. Aber die Sizilianer sind die großzügigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Und die beharrlichsten.
    Die jungen Männer räumten die Tische weg, und die Frauen spülten Töpfe und Pfannen, während sich die älteren Männer eine Pfeife anzündeten und den Gürtel weiter schnallten. Danach kehrten alle in Valerias Garten zurück, um auf Sonnenliegen an Likör zu nippen und die Ereignisse des Tages auszutauschen. Das war der schönste Moment für mich, denn jetzt konnte ich ihren Lebensgeschichten lauschen, ohne zu riskieren, etwas anderes als Alkohol angeboten zu bekommen.
    Antonio wurde laut, als er von

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