Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
angemessenes Signal, wenn man bedenkt, dass es ein Wunder ankündigt – nämlich das Eintreffen der Post. Ich konzentrierte mich gerade auf einen beschlagenen Rasierspiegel, als ich diesen Aufruhr zum ersten Mal miterlebte, und erschrak so, dass ich von Glück sagen konnte, dass mein Rasiermesser stumpf war. Sechs Wochen zuvor hatten meine Eltern ein Päckchen in Australien abgeschickt, also rannte ich ähnlich aufgeregt wie Liuto zur Gegensprechanlage, in der festen Überzeugung, dass es endlich angekommen war.
»Si?«
»Postino.«
»Arrivo.«
Ich drückte auf den Türöffner, wischte mir den verbliebenen Rasierschaum aus dem Gesicht und eilte zum Lift.
» Fuori servizio « – Außer Betrieb. Noch im Schlafanzug nahm ich drei Stufen auf einmal.
Jede Form von Kritik, Beschwerde oder Tadel sind vor lauter Aufregung vergessen, wenn die Post doch endlich mal kommt. »Besser spät als nie« wäre ein höchst passender Werbeslogan für die Poste Italiane . Als ich in Italien lebte, bekam ich meine Weihnachtsgeschenke zu Ostern und die Glückwünsche zu meinem Dreißigsten kurz vor meinem einunddreißigsten Geburtstag. Außerdem wurde ich zu einer Hochzeit eingeladen, als die Flitterwochen bereits seit Monaten vorbei waren.
Ein Ausflug zum örtlichen Postamt half, solche Verspätungen zu erklären. Eine krumm dasitzende Frau benutzte einen Pinsel, um meine Postkarte mit Klebstoff zu betupfen, und brachte eine Briefmarke darauf an, die ihr unbeholfenes Kunstwerk leider nur unvollständig bedeckte. Wenn sie meine Sendung in den Sack mit der Auslandspost warf, würde sie sich zweifellos an eine Karte für eine Albanerin heften, die zur Geburt eines Kindes beglückwünschte, das bei Ankunft der Karte bestimmt schon ein Teenager war. Das Wechselgeld kam aus einer Bonbondose von Quality Street. Und das sollte Italiens fortschrittlichste Stadt sein?
Auf der Post von Andrano kleben sie die Briefmarken nicht vor dem Kunden auf. Sie notieren nur den Wert, den sie »später« auf den Umschlag kleben werden. Eines Augusts schickte ich Freunden in Irland eine Karte, die ich dann im September besuchte. Die Postkarte kam nach mir an, und dem Poststempel konnte ich entnehmen, dass sie acht Tage auf dem Postamt gelegen hatte, bevor sie weiterbefördert worden war. Was ist der Unterschied zwischen einem Streiktag und einem ganz normalen Arbeitstag auf einem italienischen Postamt? An einem Streiktag hängt man ein Schild vor die Tür, das erklärt, warum niemand arbeitet.
Nach zwölf Treppenabsätzen erreichte ich das Foyer und sah, wie der Postbote Post aus seiner braunen Ledertasche sortierte.
»Postino?«
»Si?«
»Sie haben bei mir geklingelt.«
»Das kann sein. Ich hab bei allen geklingelt. Irgendjemand muss mir die Tür aufmachen.«
»Oh, ich dachte, Sie brauchen mich, damit ich etwas unterschreibe. Ich warte auf ein wichtiges Paket.«
»Ich klingle, wenn es kommt«, sagte er und wandte sich wieder den Briefkästen zu.
Da mein Weg nicht umsonst gewesen sein sollte und ich auch noch keine große Lust aufs Treppensteigen zurück hatte, wartete ich auf Francescos Post, während ich Zeuge der Arbeit des Zustellers wurde. Er holte jeden an das Gebäude adressierten Brief einzeln heraus, las den Namen des Empfängers, überflog zig Briefkästen, die mit den jeweiligen Nachnamen versehen waren, und wenn er keinen passenden fand, warf er den Brief oben auf einen der Briefkästen. Kein Wunder, dass der Service so langsam ist!
Mit Namen versehene Wohnungen machen Postboten das Leben schwer, vor allem wenn die Bewohner aus steuerlichen Gründen ihre Untermieter nicht anmelden, da Mietverträge das Interesse der Quittungspolizei auf sich ziehen. Deshalb steht nur ihr eigener Name auf Klingel, Briefkasten und Wohnungstür. Wenn Freunde des Untermieters zu Besuch kommen, müssen sie den Nachnamen des Vermieters kennen, um ins Gebäude zu gelangen. Wenn man jemanden zum ersten Mal einlädt, ist es nicht unüblich, dass der Mailänder sagt: »Wir sehen uns also gegen neun, an der Klingel steht übrigens Di Costanza.«
Der Job des Postboten wäre wesentlich angenehmer, wenn sich die Italiener genauso über die wortwörtliche Bedeutung ihrer Nachnamen amüsieren würden wie ich. Die Namen auf den meisten italienischen Briefkästen sind eine unterhaltsame Lektüre, vor allem wenn es sich um die Nachnamen von Ehepaaren handelt. Auf einem Briefkasten in Francescos Haus steht: Panico e Pace – Panik und Frieden. Zwei Türen weiter
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