Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
schließlich genug.«
Es ist alles eine Frage der Geographie, wenn sich Italiener aufgrund der Stadt oder Region, aus der sie stammen, nicht ausstehen können. Sie glauben, dass bestimmte negative Eigenschaften typisch für eine gewisse Gegend sind. Wer geizig ist, kommt fraglos aus Genua, wer arrogant ist, aus Florenz, wer keinen Humor hat, ist in Mailand beheimatet, wer ein Snob ist, stammt aus Padova, Eingebildete kommen aus Bologna, Sturköpfe aus Sardinien, und alle, die südlich von Roma geboren wurden, könnten genauso gut aus Afrika stammen.
Norditaliener glauben, dass die Erste Welt in Rom aufhört, den unterentwickelten Süden bewohnen ausschließlich unzivilisierte terroni . Manche Norditaliener sind sogar der Auffassung, dass sie ihre Pässe mitnehmen müssen, wenn sie sich weiter südlich als bis zu ihrer Hauptstadt vorwagen. Die terroni gelten als primitive Proleten, ohne die Italien nach Meinung vieler Norditaliener deutlich besser dran wäre. Umberto Bossi, der Führer der Lega Nord – Der nördlichen Liga – ist ein bekannter Vertreter dieser Einstellung. Xenophobe wie er wollen das Land auseinanderreißen, auf dass der Norden den Norden regiert, die Mitte die Mitte und der Süden den Süden.
Doch das Problem einer gespaltenen Nation lässt sich nicht dadurch lösen, dass sich die Landesteile immer mehr voneinander entfremden. Die Geschichte Italiens ist eine des Nord-Süd-Gefälles, und zwar schon seit Anfang des 16. Jahrhunderts. Damals eroberten die Spanier den Süden des Landes und gründeten das »Königreich Neapel«, das über dreieinhalb Jahrhunderte Bestand hatte. Während sich im Norden eine Reihe von wohlhabenden, souveränen Staaten abwechselten, bestand der Süden überwiegend aus einer Bauernschaft, der man jegliche Bildung vorenthielt, um sie leichter regieren zu können. Die Vorteile der Industriellen Revolution kamen dem Norden zugute, aber dem Süden blieben sie verwehrt, wo die Spanier, die sich über verbesserte Zustände in ihrer Heimat freuten, nichts vom Fortschritt hielten.
Selbst nachdem Garibaldi Süditalien 1861 von der Herrschaft der Bourbonen befreit und das von Vittorio Emanuele II. regierte »Königreich Italien« gegründet hatte, blieb die Entwicklung des Südens weit hinter der des Nordens zurück, wo Straßen, Schulen und Fabriken an der Tagesordnung waren. Der Süden wurde mehr oder weniger vergessen und aus irgendwelchen Gründen Mezzogiorno (Mittag) genannt. Vielleicht, weil das die Uhrzeit ist, zu der man dort aufhört zu arbeiten.
Im 20. Jahrhundert wurde die Süditalienproblematik überwiegend ignoriert, und im Faschismus war es verboten, das Wort Mezzogiorno – die Achillesferse der Nation – auch nur in den Mund zu nehmen. Erste finanzielle Hilfe kam in den 1950er-Jahren durch den »Mezzogiorno Fund«, aber dank korrupter Lokalregierungen und der Mafia floss das Geld nur an diejenigen, die ohnehin reich waren. Das wiederum gab den Vorwürfen des Nordens, der Süden sei korrupt und solle selbst sehen, wo er bleibt, nur wieder neue Nahrung.
In den darauf folgenden zehn Jahren zogen über eine Million Süditaliener auf der Suche nach Wohlstand in den Norden, der dort hängen blieb wie Sand in einer verstopften Sanduhr. Eine noch größere Anzahl versuchte ihr Glück in Übersee, vor allem in Amerika und Australien.
Diese historischen Unterschiede können die Kluft teilweise erklären, aber das heutige Problem beruht mindestens so stark auf gegenwärtigen wie auf vergangenen Fehlern. In der letzten Zeit hat sich die Lage des Südens geringfügig verbessert. Dafür sorgten mehrere Faktoren wie eine eigene, wenn auch bescheidene industrielle Revolution, besser ausgebildete Arbeiter und Angestellte, Zweitjobs, die den wachsamen Augen der Quittungspolizei entgehen, der Wirtschaftsboom in den 1980er Jahren, als die Regierung Stellen gegen Stimmzettel tauschte, aber auch weitervererbtes Vermögen in Form von Grundbesitz, der im Wert steigt, je mehr sich der Mezzogiorno zu einer Touristenattraktion entwickelt.
Dieser Wohlstand hat jedoch auch Schattenseiten und warf die Süditaliener auf sich selbst zurück. Ihr Mangel an Gemeinsinn und ihr angeborenes Misstrauen Autoritäten gegenüber, die sich bisher immer nur selbst bereicherten, bescheren Süditalien fast mittelalterliche Zustände und trennen es immer mehr vom modernen Norden.
Wie hatte ich mich nur in eine unzivilisierte terrona verlieben können? Und wie schaffte es die Einfältige, in meinen Augen
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