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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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als absolut gebildet durchzugehen? Daniela gibt zu, dass die Neigung der Süditaliener zu melodramatischen Gefühlsausbrüchen und lautem Palavern durchaus unzivilisiert wirken kann. Trotzdem zieht sie das heißblütige Temperament eines Süditalieners der eiskalten Scheinheiligkeit eines Norditalieners bei Weitem vor. Sie findet Norditaliener inkonsequent, die Süditalien zehn Monate lang als Außenposten Afrikas verunglimpfen, um dann im Juli und August ganz selbstverständlich die südlichen Strände und die mediterrane Küche zu genießen. »Kein Wunder, dass sie wegen unseres Essens kommen«, sagt Daniela. »Polenta ist das Einzige, was sie hier kochen können. Und weißt du, was Polenta ist, Chris? So was wie eine Unterart von Couscous. Und dann nennen sie uns Afrikaner!«
    Mit seinen seltenen Momenten der Einigkeit hat das Italien des 21. Jahrhunderts 600 Jahre alte Probleme im Gepäck, zu denen auch Hassbriefe in Briefkästen gehören. Nach dem ersten Schrecken beruhigte sich Daniela wieder und sah die Preghiera einfach nur als Beweis, dass die Philister des Nordens auch Gedichte schreiben können, obwohl das Gros der italienischen Literatur von Süditalienern verfasst wurde. Touché.
     
    Das Telefon klingelte lange, bevor ein älterer Herr dranging.
    »Pronto.«
    » Buon giorno . Ich rufe wegen der Wohnung an.«
    »Wo kommen Sie her?
    »Aus Lecce.«
    »Ich vermiete nicht an Süditaliener.«
    Daniela hielt den Hörer vom Ohr weg, während der ältere Herr seinen aufknallte.
    Wir hatten nie vorgehabt, länger bei Francesco zu wohnen. Sich eine Wohnung mit dem Chef und dem Bruder der eigenen Freundin zu teilen ist nicht gerade optimal – und erst recht nicht, wenn beide ein und dieselbe Person sind. Wir wollten allein wohnen, und bestimmte Angewohnheiten Francescos ließen darauf schließen, dass er das ganz ähnlich sah. Zunächst einmal wies das riesige Aquarium voller Piranhas auf sehr spezielle Vorlieben hin. Und auch Liutos überall verteilte Pfützen und klebrige Überraschungen ließen darauf schließen, dass der Hund entweder nicht genug Auslauf bekam oder Angst vor den Fischen hatte. Noch schwerer zu ertragen war Francescos kürzliche Trennung von seiner Freundin aus Kindertagen. Lucinda kam eines Tages vorbei, als Francesco im Büro war, und fragte mich, wie ich die Eigentumsverhältnisse des Erbes ihrer Beziehung wie CD-Regale und Lampenschirme einschätzte. Woraufhin ich entgegnete, dass sie alles mitnehmen dürfe – vorausgesetzt, Liuto und die Piranhas wären ebenfalls dabei.
    Aber unser Wunsch nach mehr Privatsphäre blieb unbefriedigt. Zum einen, weil Mailands Mietmarkt genauso ein Haifischbecken ist wie Francescos Aquarium, zum anderen aus jenen Gründen, die Danielas Telefonat so unsanft beendet hatten: Ihre süditalienische und meine ausländische Herkunft machten uns für viele Vermieter unattraktiv.
    Als Francesco fünf Jahre zuvor nach Mailand gezogen war, hatte er sich mit ganz ähnlichen Vorurteilen herumschlagen müssen. Bei einer Wohnungsbesichtigung zeigte eine Frau auf die Waschmaschine und fragte, ob er so ein Gerät schon jemals gesehen habe. Als sich Francesco beschwerte, entschuldigte sich die Frau und sagte, sie habe ihn nicht beleidigen wollen. Sie sei wirklich nur daran interessiert, ob es »da unten« mittlerweile auch elektrische Haushaltsgeräte gebe. Jetzt hatte Daniela zu leiden, weil sie in den Norden gezogen war. Aber sie gab die Hoffnung nicht auf, da sich Francesco am Ende ebenfalls gut eingelebt hatte. Mit ihrem angeborenen Optimismus nahm sie von uns dasselbe an.
    Daniela besaß einen großen Vorteil. Sie hatte ein Ass in ihrem süditalienischen Ärmel, denn sie war eine statale – eine Beamtin, die man nicht entlassen konnte, außer sie würde einen Putsch begehen. Eine bessere Garantie für regelmäßige Mieteingänge gibt es in ganz Italien nicht, und zwar im Norden wie im Süden. Wenn Norditaliener begreifen, dass ihre Investitionen zuverlässig Profit abwerfen, lassen sie ihre Vorurteile noch schneller fallen als ihre Kleider unter der südlichen Sonne.
    Doch nach mehreren frustrierenden Wochen, in denen Daniela mittags von der Schule nach Hause eilte, um wegen Wohnungen zu telefonieren, die bereits vor dem Frühstück vermietet worden waren, wurde uns klar, dass ich anrufen musste, wenn wir nicht ewig mit Francesco zusammenwohnen wollten. Zu diesem Zeitpunkt sprach ich schon so fließend Italienisch, wie ein Seiltänzer seiltanzt: langsam, aber sicher –

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