Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
waren japanische Touristen zu sehen, die alles kauften, wo »Italia« draufstand, und sich gegenseitig fotografierten. Nur ein Schlangenmensch kann die Piazza Duomo überqueren, ohne auf einem Kaminsims in Tokio zu landen. Wer einem Fotografen aus dem Weg geht, trifft tausend andere. Es empfiehlt sich auch nicht, den Schirm aufzuspannen, wenn es regnet, außer man will zum unfreiwilligen Führer einer kichernden Reisegruppe aus Osaka werden.
Eine Fahrradklingel ließ Touristen und Tauben auseinanderstieben, während sich der Rinaldi-Express -Kurier zwischen ihnen hindurchschlängelte. Auf uralten Drahteseln (so etwas wie moderne Fahrräder scheint es in Mailand nicht zu geben) tragen die Mailänder Postboten, Männer mittleren Alters in dunklen Anzügen, die Post mit mehr Stil als Tempo aus und pfeifen bei der Arbeit vor sich hin.
Eine Schulklasse auf Exkursion lehnte sich an die Wand des Doms. Die meisten trugen Nike wie eine Schuluniform. Ein Schüler spielte mit einem ferngesteuerten Auto, bevor es von einem Radfahrer überfahren wurde, der es im Nebel übersehen hatte. Der Mann stieg ab, trat das Plastikspielzeug mit Füßen und machte die Geste, die besagt: »Was zum Teufel willst du eigentlich hier?« Womit er gar nicht so Unrecht hatte, schließlich ist die Piazza eigentlich für Autos gesperrt.
Zwei Polizisten versuchten, eine hängende Stoßstange an ihrem Streifenwagen zu reparieren. Der eine versuchte, das Ding vorsichtig wieder zu befestigen, bis ihn sein Kollege wegzerrte und heftig danach trat. Daraufhin hing die Stoßstange noch mehr herunter, und der Schäferhund hinten drin fing an zu toben. Zwei carabinieri auf Fußstreife blieben stehen, um ihre Hilfe anzubieten, ein seltener Moment der Kooperation zwischen polizia und Co.
Und jeden Tag saß derselbe Bettler auf den Stufen des Priesterseminars hinter dem Duomo . Alle zwei Wochen verschwand er für einen Tag, um dann mit frischer Kleidung frisch rasiert und mit frisch geschnittenen Haaren auf seine frische Zementstufe zurückzukehren. Ein durchaus geschickt gewählter Platz – schließlich dürfen werdende Priester eine aufgehaltene Hand nicht ignorieren. Trotzdem war ich versucht, ihm zu sagen, er solle sich lieber gleich um die Ecke vor dem Grand Hotel Duomo niederlassen, wo eine schlaue Schnorrerin lästiges Kleingeld einsammelte, das ihr die abreisenden Gäste des Luxushotels gaben. Ihr Sammelbecher war das einzig Schäbige an ihr – sie trug sogar Lippenstift.
Ich verließ die Piazza Duomo und schlenderte über die auf Hochglanz polierten, gemusterten Fliesen der Galleria Vittorio Emanuele II. Das prächtige Bauwerk mit dem kreuzförmigen Grundriss ist nach dem ersten König Italiens benannt und verbindet die Piazza Duomo mit der Piazza La Scala, dem Ort, wo sich gemäß der Meinung zahlreicher Menschen das schönste Opernhaus der Welt erhebt. Zu dieser frühen Stunde wurde die Einkaufspassage noch für einen weiteren Tag mit guten Umsätzen herausgeputzt. Kellner banden Kissen an die Stühle vor exklusiven Cafés, während das Schaufenster von Prada penibelst geputzt wurde, um einen atemberaubenden Blick auf Auslagen mit noch atemberaubenderen Preisen freizugeben.
Am ersten Tag meines Italienischkurses kehrte ich in einer Bar ein, in der Daniela und ich noch am Wochenende zuvor Kaffee getrunken hatten, nachdem wir Da Vincis Letztes Abendmahl besichtigt hatten. Der Barista hatte Daniela 70 Cent für einen Espresso berechnet, der mich zwei Tage später wegen meines unbeholfenen Italienisch einen fast doppelt so hohen Touristenpreis kostete. Obwohl ich dort ausgenommen wurde wie eine Weihnachtsgans, frühstückte ich oft dort auf meinem Weg zur Sprachschule, deren Fortschritte ich am Preis meines Kaffees bemessen konnte.
Genauso oft, wie ich eine überhöhte Rechnung bekam, wurde ich auch vom Kellner zurückgepfiffen, der darauf bestand, mir meine Quittung zu geben. Immer wieder vergaß ich das lästige Gesetz, das mich zwang, Verkaufsquittungen bis zu einer Entfernung von hundert Metern von dem Ort, wo sie mir ausgestellt wurden, aufzubewahren. Diese wenig effektive Maßnahme gegen Steuerhinterziehung wird von der vierten wenig effektiven Polizeitruppe Italiens, der Guardia di Finanza oder »Quittungspolizei«, wie Daniela sie nennt, überwacht. In ihren graugelben Uniformen patrouilliert sie Straßen und Geschäfte entlang und verlangt Kassenbücher und Quittungen, um sicherzustellen, dass die Ladeninhaber ihre Umsätze ehrlich in die
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