Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Kasse eintippen.
Absurde Gesetze führen zu absurden Auslegungen. Ein Barmann in La Spezia wurde mit einem Bußgeld von 250 Euro verwarnt, weil er einem Bettler ein Glas Wasser spendiert hatte, den man ohne Quittung angetroffen hatte. Ein Barmann in Mailand bekam dasselbe Bußgeld aufgebrummt, weil er an einem seiner eigenen Getränke genippt hatte, für das er nicht bezahlt hatte. Da war es mir doch wesentlich lieber, dass mir der Kellner eine überhöhte Rechnung stellte.
Betrügerische Absprachen zwischen Ladeninhaber und Kunde machen es einem leicht, die Gesetze zu umgehen. Daniela ging zu einer Friseurin, die ihr einen Rabatt anbot, wenn sie eine Quittung akzeptierte, die niedriger war als die Summe, die sie tatsächlich bezahlt hatte. Wäre Daniela beim Verlassen des Salons kontrolliert worden, hätte sie gesagt, sie habe sich die Haare nicht schneiden, sondern nur für eine Hochzeit stylen lassen. Eine Version, die die Friseurin anschließend bestätigt hätte.
Mit der Quittung in meiner Jeans und dem Koffein in meinen Venen verließ ich die Bar und lief die letzten Meter zu meiner Sprachschule. Im Herzen des Brera-Viertels standen lebendige Mannequins regungslos in einer Calvin-Klein-Boutique und lockten Passanten an. Diese spürten, dass irgendetwas in der Luft lag, und starrten hin, bis ihnen die Models zuzwinkerten. Eine fantastische Werbeaktion. Sogar ich betrat den Laden und kaufte einen überteuerten Rolli.
In derselben geschäftigen Straße balancierte ein Kellner ein Tablett auf seinen Fingerspitzen und schlängelte sich durch den lebhaften Verkehr, um Kaffee, Zigaretten – und Quittungen – in die nahe gelegenen Geschäfte zu bringen. Als vorbeifahrende Fahrzeuge seine Schürze kräuselten, verschüttete der mutige Matador nicht den kleinsten Tropfen. Er hatte das Kapitel 9 meines Lehrbuchs bestimmt nicht gelesen.
Ein Einarmiger versuchte ein waghalsiges Wendemanöver, während sein Auto den Verkehr blockierte. Mit einer Zigarette zwischen den Lippen drehte er am Lenkrad, so gut er konnte, und fixierte es dann mit seinem Ellbogen. Der ungeduldige Fahrer eines Touristenbusses schlug mit der Faust auf seine Hupe, was den Einarmigen jedoch ungerührt ließ – nicht zuletzt deshalb, weil er keine Hand mehr frei hatte, um eine obszöne Geste zu machen.
Mein Vergnügen über die sich mir bietenden Szenen auf meinem täglichen Schulweg fand bei meiner Ankunft ein abruptes Ende. Denn dort wartete schon Il Generale auf mich und sah mit einer Frage auf den Lippen vorwurfsvoll auf ihre Armbanduhr. Trotz des Lärms, des Smogs und des Chaos auf den Straßen gab es keinen stressigeren Ort als ihr Klassenzimmer. Wir hassten sie, wie Armeerekruten ihren Ausbilder hassen, der sie schließlich zu ausgezeichneten Soldaten macht.
Dank Gorbatschows verstorbener Frau, dem frühen Kursbeginn von Il Centro , Virtual-Reality-Lehrbüchern, öffentlicher Demütigung, parteiischen Fußballkommentatoren, unverschämten Kellnern, indiskreten Dobermännern und mithilfe von viel Versuch und Irrtum begannen Daniela und ich nur noch Italienisch zu reden. Deshalb dauerte es nicht lange, bis ich ihre Sprache besser sprach als sie meine. Je mehr ich das Italienische und Mailand zu meinem Spielplatz machte, desto tiefer wurde die Beziehung zwischen Daniela und mir. Jedes neue Wort war ein Schlüssel, der mir Zugang zu einem weiteren Teil ihrer Persönlichkeit verschaffte. Ihr gebrochenes Englisch hatte mir den Eindruck einer lustigen, charakterfesten Frau vermittelt. Mein fließendes Italienisch zeigte mir jetzt auch, dass sie schräg, unlogisch, intelligent und mutig war. Wenn ich sie schon auf Englisch geliebt hatte, betete ich sie auf Italienisch förmlich an. Sie war so schön wie ihre Sprache, und ich konnte nie genug von ihr bekommen.
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Keine Ausländer ... oder Süditaliener
I l postino drückte mit seinem Unterarm alle Klingeln des Wohnblocks auf einmal. Durch das Schrillen dieser siebenstöckigen Eieruhr wurden sämtliche Bewohner aufgeschreckt, darunter auch Francescos Dackel Liuto (Laute), der nach dem langhalsigen Musikinstrument benannt worden war, an das er vage erinnerte. Er sprang vom Bett, auf dem er gedöst hatte, rutschte vor lauter Eile, zur Tür zu kommen, mit seinen winzigen Krallen auf dem Parkett aus und knallte mit der Schnauze zuerst gegen die Flurwand. In der Wohnung brach Panik aus, wie in einem Cockpit, in dem plötzlich ein rotes Lämpchen blinkt. Ein alarmierendes, aber auch
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