Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Mutter.
»Si mamma.«
Ja, sie hat die Auberginenscheiben kurz auf den Grill gelegt, bevor sie den Schinken hinzugefügt hat.
»Si mamma.«
Ja, sie hat den Parmesan in dem Laden in Tricase gekauft.
»Si mamma.«
Ja, sie hat Semmelbrösel verwendet.
Daniela kann ihre mamma überzeugen, dass ihr Rezept nicht verfälscht wurde und dass abgesehen von meiner Ankunft alles beim Alten ist. Dann erkundigt sie sich nach papà . Er streunt durch einen umzäunten Garten, isst Pflanzen und flucht vor dem Spiegel – leider scheint auch dort alles beim Alten zu sein.
Sie telefonieren beinahe eine Stunde, obwohl es sich so anhört, als beendeten sie das Gespräch alle fünf Minuten. Italienische Abschiede sind wie der Tod in der Oper: Immer wenn man denkt, dass es endgültig vorbei ist, blitzt wieder ein neuer Lebensfunke auf. Jedes Mal, wenn sich Daniela verabschiedet, nimmt die Unterhaltung eine neue Wendung. Das ist bestimmt mit ein Grund, warum ciao sowohl Hallo als auch Tschüs bedeutet.
Wir installieren gerade Moskitonetze, um die nächtliche zanzare -Plage draußen zu halten, als wir die fröhliche Melodie eines Akkordeons hören, die laut Daniela von der Piazza kommt. Ich schlage vor, hinzugehen, also zieht sich Daniela ein Sommerkleid an, und wir folgen der Musik wie Jäger einer Witterung. Aber zu unserer Überraschung wird die lebhafte Melodie leiser, als wir die Piazza erreichen. Die liegt bis auf einen alten Mann auf einem Fahrrad mit einer Wassermelone auf dem Gepäckträger völlig verlassen da. Seine Reifen quietschen auf dem glänzenden Pflaster, während er in einer dunklen Gasse verschwindet. Wir sehen uns neugierig um, da wir von der Musik in die Irre geführt wurden und unsere Suche nach ihrem Ursprung gescheitert ist.
Die gedämpfte Beleuchtung taucht die Piazza Castello in eine nostalgische Atmosphäre. Drei alte Gebäude säumen den Platz: die Chiesa Sant’Andrea – eine gedrungene Kirche aus dem zwölften Jahrhundert, die nach dem Schutzheiligen von Andrano benannt ist, der municipio – ein schönes Rathaus mit bogenförmigen Türen aus Olivenholz sowie das barocke Burgjuwel, der Castello Spinola-Caracciolo , mit einem kopfsteingepflasterten Hof und prächtigen Laubengängen.
Zwischen den alten Gebäuden liegt der Rathausplatz mit seinen abgerundeten Pflastersteinen: Er ist Marktplatz, Treffpunkt und gleichzeitig das Herz des Orts.
Daniela führt mich in eine schlecht beleuchtete Seitenstraße und glaubt, die Musik käme aus der Bar. Aber wieder wird die Melodie leiser, während wir näher kommen. Als wir um eine Ecke biegen, sehen wir nur einen Schatten, einen sich kratzenden, streunenden Hund und einen alten Mann, der auf einer Stufe sitzt und raucht. Die Musik scheint wie wir, langsam und aufs Geratewohl, in der ruhigen, schwülen Nacht durch die Straßen zu streifen. Hand in Hand gehen wir an Andranos Läden vorbei. Am barbiere , der tabaccheria , dem fruttivendolo . Und bei jeder Biegung wird die Serenade leiser, eine weitere Gasse führt ins Nichts, und bis auf ein paar ältere Einwohner, die versuchen, sich etwas Kühlung zu verschaffen, scheint der Ort wie verlassen dazuliegen.
» Buona sera «, begrüßt Daniela einen buckligen Mann in einem weißen Unterhemd, der mit einem Stock über den Knien in einer Türöffnung sitzt.
» Buona sera «, erwidert er automatisch.
»Wissen Sie, wo die Musik herkommt?«
» Dalla piazza «, entgegnet er wie selbstverständlich und unterliegt demselben Irrtum wie wir.
» Grazie «, sagt Daniela, die ihm nicht widersprechen will.
Mehrere Biegungen später erreichen wir ein heruntergekommenes Haus. Die Haustür steht offen, und Unkraut sprießt aus seiner Fassade. Über der Tür ist eine verblasste Hausnummer aufgemalt, daneben befindet sich ein kleines weißes Schild mit einer neuen Adresse. Daniela erzählt mir, dass das Haus einst ihrem Großvater gehört hat, der auf dem Grundstück Fahrräder reparierte. »Mein Vater wollte es restaurieren lassen«, fügt sie hinzu, »bevor er krank wurde.«
Bei einer weiteren heruntergekommenen Adresse klebt ein Plakat an der Hauswand, das Werbung für einen Zirkus macht, der vor Jahren in der Stadt war. Die bröckelnde Fassade ist zu einer Art Schwarzem Brett geworden, an dem auch eine Ankündigung für ein Fußballspiel sowie eine verblasste Vermählungsanzeige von Luigi und Serena hängen, die inzwischen bestimmt schon etliche Kinder haben. Ein paar Türen weiter lehnt ein manifesto di morte an der Wand
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