Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
wie mein Italienischlehrer Giacomo, mit dem ich das letzte halbe Jahr jede freie Minute verbracht hatte. Der ebenfalls aus Neapel stammende Giacomo – der mir übrigens gratis Privatstunden gab, nachdem er von meiner Liebesgeschichte gehört hatte und sich als Italiener fast dazu verpflichtet fühlte, mir zu helfen – war ein Komiker und Exzentriker, der eher den Regeln des Kabaretts gehorchte als denen der Grammatik. Obwohl ich sagen muss, dass seine Methode, Verben auf Tonband zu singen, hervorragend dazu geeignet ist, diese auch zu behalten. Nach unserer letzten Unterrichtsstunde hüpfte er auf dem Bürgersteig vor seiner Sprachenschule im Zentrum von Sydney auf und ab und rief: » Buona fortuna!«, als mein Bus losfuhr. Er war der lebende Beweis für Orson Welles’ Behauptung, dass es in Italien 50 Millionen talentierte Schauspieler gibt, die einzig schlechten finde man nur auf der Bühne und beim Film.
Eine Woche später, unter dem tropfenden Dach des Jumbos, benutzte ich ein Buch als Schirm und nippte an einem Glas Wein, zu dem mich mein neapolitanischer Freund einladen wollte, bis er begriff, dass es das gratis gab. Er selbst ließ sich ständig nachfüllen, indem er die Regentropfen mit seinem Glas auffing. Mit der lauten Stimme eines Schwerhörigen stellte er sich mir als Aurelio vor und fragte, was mich nach Italien führe. Aus Höflichkeit musste ich meine Antwort laut herausschreien, sodass sämtliche Passagiere um mich herum gezwungenermaßen ebenfalls von Daniela erfuhren – Daniela mit einem L: Man muss lächeln, um ihren Namen korrekt auszusprechen.
Ich muss gestehen, dass ich die Zeile »ihr Name jagte mir das Blut wild durch die Adern« von James Joyce gestohlen habe. Das dürfte ihm jedoch nichts ausmachen, schließlich war er nicht ganz unbeteiligt an meiner Bekanntschaft mit Daniela. Nachdem ich an der Universität von Sydney den Ulysses und andere irische Werke der Literatur studiert hatte, ging ich nach London, von wo aus ich mich aufmachte, die Irische See zu überqueren, um einen Drink am Wasserloch meiner Lieblingscharaktere aus den Dublinern zu nehmen.
Das Johnny Fox ist ein altmodischer, aber gut besuchter Pub in den Hügeln über Dublin und war früher einmal das Stammlokal der irischen Rebellen. Zwischen seinen Holzmöbeln und seinem faszinierenden Krimskrams, angefangen von leeren Petroleumfässern bis hin zu gusseisernen Bettgestellen, genießen die Dubliner hier den rustikalen Charme zu ihrem Guinness.
Unter der niedrigen Decke des gut gefüllten Pubs stand dichter Qualm, während sich die Leute weiter unten dicht an dicht um die Fenster scharten.
Bei typisch irischem Wetter genoss ich ein typisch irisches Schauspiel. Man braucht nicht lange, um einen Zusammenhang zwischen dem Wetter und der nationalen Lieblingsbeschäftigung der Iren zu erkennen – es gibt sogar Iren, die einem weismachen, der charakteristische weiße Guinness-Schaum sei eine extrem tief hängende Wolke.
Mit einem langen Quietschen ging die Holztür des Pubs auf, und ein ernüchternder kalter Luftzug drang herein. Die in sich zusammengesackten Trinkenden nahmen wieder Haltung an, ja sie wurden regelrecht aus ihrem Stupor gerissen, als der trübe Dubliner Abend mediterranem Sommer weichen musste.
Sie bewegte sich mit der Anmut einer sich langsam aufbäumenden Welle, die aufgrund ihrer Weitgereistheit eine beträchtliche Wirkung entfaltet. Mit drei Freundinnen im Schlepptau ging sie an die Bar – elegant, selbstbewusst, zierlich und exotisch – meine erste und letzte Liebe. Glänzend schwarzes Haar fiel glatt auf ihre Schultern und reflektierte das Licht, in dem sie erstrahlte. Ihre gebräunte Haut war zwar dunkel, schien aber jede Finsternis zu vertreiben. Sogar an ihrem Hals schlug ein kleiner Diamant jeden Schatten in die Flucht. Oh, sie war eine betörende Mischung aus Fleisch und Stoff: Sexappeal durch sparsame Kleidung. Ein schlichtes schwarzes Hemdchen ließ schimmernde Schultern frei, deren Muskeln unter dem Gewicht der über ihrem Unterarm liegenden Jacke leicht zitterten wie die Saiten einer Harfe. Und ihre Augen hatten die tiefdunkle Farbe jener Flüssigkeit, an der ich bei ihrem Auftritt kurzfristig aufgehört hatte zu nippen.
Neben James Joyce schulde ich meine Bekanntschaft mit Daniela Arthur Guinness, dem Zufallserfinder jener mal schwarz, mal rubinrot schillernden Flüssigkeit, die auf den ersten Blick eher aussieht wie ein Maschinenschmierstoff und nicht wie der soziale Schmierstoff,
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