Sigma Force 01 - Sandsturm
war passiert? Wo war sie?
Schließlich fand sie die Kraft aufzustehen, wobei sie sich an dem Kamel abstützen musste. Safia bemerkte, dass man ihr die verletzte Schulter primitiv verbunden hatte, um die Blutung zu stoppen. Sie schmerzte bei jeder Bewegung.
Die Frau an ihrer Seite, die sie in der Dunkelheit nur schemenhaft erkennen konnte, schien diejenige zu sein, die sie gerettet hatte; nur trug sie jetzt einen Wüstenumhang.
»Hilfe ist unterwegs«, flüsterte die andere.
»Wer bist du?«, brachte Safia schließlich über die Lippen, und nun spürte sie auch die Kühle der Nacht. Sie war in irgendeiner Dschungelgrotte. Es hatte aufgehört zu regnen, aber noch immer rieselten Tropfen vom Blätterdach über ihrem Kopf. Überall um sie herum wuchsen Palmen und Tamarinden. Lianengewirr und blühender Jasmin hingen von den Bäumen und aromatisierten die Luft.
Die Frau blieb stumm. Sie streckte nur den Arm aus und deutete vor sich hin.
Flackerndes Licht stach vor ihr durch den Dschungel, leuchtete hell durch die sehnigen Ranken. Es kam jemand mit einer Lampe oder einer Fackel.
Safia wollte fliehen, aber ihr Körper war zu schwach, um ihr zu gehorchen.
Der Arm um ihre Schulter drückte fester zu, als hätte die Frau in ihr Herz hineingehört, aber es fühlte sich nicht so an, als wollte sie Safia festhalten, sondern eher so, als wollte sie sie beruhigen.
Kurz darauf hatten sich Safias Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie erkannte, dass der Dschungel direkt vor ihr eine felsige Kalksteinklippe verdeckte, die dicht mit Ranken, Kriechpflanzen und kleinen Büschen bewachsen war. Das Licht kam aus einem Tunnel in dieser Felsflanke. Solche Kavernen und Gänge durchzogen das gesamte Dhofar-Gebirge, ausgewaschen vom Wasser der Monsungüsse, das sich durch den Kalkstein fraß. Als das Licht den Tunneleingang erreichte, konnte Safia drei Gestalten erkennen: eine alte Frau, ein Kind von vielleicht zwölf Jahren und eine zweite junge Frau, die ein Zwilling derjenigen neben ihr hätte sein können. Alle trugen identische Wüstenumhänge mit zurückgeworfenen Kapuzen.
Zusätzlich trugen alle drei eine identische Verzierung: eine rubinrote Tätowierung im äußeren linken Augenwinkel. Eine einzelne Träne.
Sogar das Kind, das eine Öllaterne in der Hand hielt.
»Die verloren war«, sagte nun die Frau neben ihr.
»Ist nach Hause gekommen«, entgegnete die ältere Frau, die sich auf einen Stock stützte. Ihre Haare waren grau und zu einem Zopf geflochten, das Gesicht war zwar faltig, aber voller Leben.
»Sei willkommen«, sagte die Ältere auf Englisch und trat einen Schritt beiseite, Safias Begleiterin stützte sie und führte sie durch den Eingang. Im Tunnel ging dann das Kind mit hoch erhobener Laterne voraus. Die ältere Frau hielt sich hinter ihnen, man hörte das Klappern ihres Stocks. Die dritte Frau verließ den Tunnel und ging zu dem ruhenden Kamel.
Safia wurde tiefer in den Berg geführt.
Eine Weile liefen sie schweigend.
Doch Safia, die förmlich überquoll vor Fragen, konnte ihren Mund nicht länger halten. »Wer seid ihr? Was wollt ihr von mir?«
Ihre Stimme klang sogar in ihren eigenen Ohren gereizt.
»Friede sei mit dir«, flüsterte die Ältere hinter ihr. »Du bist in Sicherheit.«
Im Augenblick , dachte Safia. Ihr war der lange Dolch im Gürtel der Frau, die hinter ihnen den Tunnel verlassen hatte, nicht entgangen.
»Du wirst alle Antworten von unserer hodja bekommen.«
Safia wunderte sich. Eine hodja war eine Stammesschamanin, immer eine Frau. Sie waren die Bewahrer des Wissens, Heilerinnen, Prophetinnen. Was waren das für Leute? Im Weitergehen bemerkte sie, dass noch immer Jasminduft in der Luft hing. Das Aroma beruhigte sie, erinnerte sie an ihr Zuhause, an die Mutter, an Geborgenheit.
Doch der Schmerz in ihrer Schulter holte sie in die Gegenwart zurück. Die Wunde war wieder aufgebrochen, Blut durchtränkte den Verband und lief am Arm hinunter.
Hinter sich hörte sie ein Schlurfen. Sie schaute über die Schulter. Die dritte Frau war zurückgekehrt. Sie trug zwei Lasten, die sie von dem Kamel geholt hatte. In der einen Hand hatte sie den inzwischen verbeulten silberfarbenen Koffer mit dem eisernen Herz. Und auf der anderen Schulter trug sie den Eisenspeer mit der Büste der Königin von Saba.
Sie hatten Cassandra die beiden Artefakte gestohlen.
Safias Herz hämmerte lauter, ihre Sicht verengte sich.
Waren es Diebinnen? Hatte man sie gerettet oder schon wieder entführt?
Der Tunnel
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