Signum - Die verratenen Adler
sind bis zum Palatin gelangt«, sagte er vieldeutig.
»Davon werden sie nicht wahrer.«
Rullianus sprach jetzt sehr leise. Er beugte sich noch weiter vor. »Aber gefährlicher.«
»Du musst dich schon genauer ausdrücken.«
»Zufällig«, erwiderte Rullianus und betonte das Wort, indem er es übertrieben in die Länge zog, »und unfreiwilligerweise wurde ich Zeuge eines aufschlussreichen Gespräches zwischen dem Princeps und seinem Sekretär. Das war an dem Tag, als ein gewisser Bote die Stadt verlieÃ. Er hatte einen Brief für dich dabei.«
Die Worte trafen Varus wie ein Hieb in den Magen. Es dauerte einen Moment, bis er sich fing. »Boten aus Rom kommen hier jeden Tag an«, sagte er gepresst.
Rullianus verengte seine Augen zu Schlitzen. »Es war ein ganz besonderer Bote mit einem ganz besonderen Brief. Ein etwas kopfloser Bote.« Er lächelte verschlagen. Die letzte Bemerkung schien ihm eine gehässige Freude zu bereiten.
Lucius regte sich. »Er blufft«, flüsterte er. Caius antwortete nicht, sondern warf einen strafenden Blick zur Seite.
Doch unten schien Varus dasselbe zu ahnen. Sein Körper straffte sich. »Schieà keine Pfeile in die Luft«, sagte er. »Sie treffen nicht. Und versuch nicht mich zu erpressen.« Damit wandte er sich zum Gehen. Mit groÃen Schritten durchquerte er den Raum, schob die Tür mit kaum gezügeltem Zorn zur Seite und trat in den Vorraum, wo er nicht mehr zu sehen war.
Rullianus blieb mit einem eisigen Lächeln auf den Lippen zurück. Dann ging er zu einem der Tische und griff sich eine Auster aus einer groÃen, mit Meerwasser gefüllten Schüssel. Er schlürfte, schürzte die Lippen und schleuderte die Schale wie in plötzlich aufbrandender Wut gegen die Wand.
14
Die folgenden Tage in Oppidum Ubiorum verliefen ruhig und ereignislos. Caius und Lucius zerbrachen sich den Kopf darüber, wie viel Rullianus wohl von dem Geheimnis ahnen konnte, das Varus mit sich herumtrug. Sie waren sich einig, dass er im Besprechungsraum geblufft hatte. Viel konnte er nicht wissen â vielleicht hatte er wirklich nur ein Gespräch des Princeps belauscht. Die beiden Freunde zweifelten jedenfalls nicht mehr daran, dass der Legat den Boten ermordet und der Leiche den Kopf abgetrennt hatte. Sicher war der Tote längst gefunden worden. Aber hatte man ihn identifizieren können? Und was hatte es mit den Gerüchten auf sich, die angeblich in Rom die Runde machten?
Morgens saÃen Caius und Lucius meistens in ihrer Unterkunft und studierten die Unterlagen über die Bleimine, nachmittags zog es sie in die Stadt. Sie schlichen in der Hoffnung auf neue Hinweise um das Stabsgebäude, doch die Offiziere, die den mächtigen Komplex betraten oder verlieÃen, würdigten sie keines Blickes. Zwei- oder dreimaltrafen sie Silanus, der ihnen mit seinen beleidigenden Tiraden über die Rückständigkeit der Provinzbewohner auf die Nerven ging und ansonsten froh darüber zu sein schien, dass er sich um seinen Neffen und dessen Freund so wenig wie möglich kümmern musste. Immerhin hatte er ihnen die vage Zusage gemacht, dass er sie dem Statthalter vorstellen würde, wenn sich denn die Gelegenheit dazu böte.
Doch zunächst passierte nichts und so streiften die beiden Freunde weiter in der Stadt umher, schauten dem Hafenbetrieb zu oder erkundeten den Tempelbezirk mit dem Heiligtum am Flussufer. Einmal trafen sie vor der Umfriedung einen jungen Priester germanischer Abstammung in römischer Tracht. Er erklärte ihnen, es handele sich um einen Tempel der Göttin Roma, die von den Stämmen jenseits des Rheins inzwischen auch verehrt werde, weshalb die Germanen dort auf Stammesversammlungen aus ihrer Mitte Priester wählten, die hier am Tempel den Dienst versahen.
»Dieses Heiligtum ist die zentrale Anlaufstelle für alle, die die neue Zeit verstanden haben«, sagte er. Es klang etwas übereifrig.
»Habt ihr in Germanien nicht schon genügend Götter?«, traute Lucius sich zu fragen.
»Hattet ihr in Rom nicht auch schon genügend Götter, als ihr die Kulte von Isis, Osiris, Anubis und Horus übernommen habt?«, fragte der junge Mann zurück. Caius war einmal mehr überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeitsich manche Barbaren in der Götterwelt des Mittelmeerraumes auskannten. »Es scheint mir im Gegenteil nicht ausgeschlossen«, fuhr
Weitere Kostenlose Bücher